Heidelberger Frühling

Heidelberger Frühling: Junge Musiker brechen im Brahms.LAB Traditionen

Kreativität und Experimentierfreude zeichnen das Brahms.LAB aus, in dem junge Musikerinnen und Musiker traditionelle Grenzen sprengen, um ein neues, junges Publikum anzusprechen

Von 
Uwe Rauschelbach
Lesedauer: 
Erschließen Brahms als Mensch mit Sinnen und Gefühlen: Geigerin Charlotte Thiele, Cellist Bryan Chang. © HD Fr / Franziska Spohr.

Vielleicht ist es keine Revolution. Aber es ist ein Experiment. Und es läuft darauf heraus, das klassische Konzert, so wie wir es bisher kannten, aus seiner konventionellen Starre zu lösen. Schließlich möchten die jungen Musiker, die sich beim Heidelberger Frühling im Brahms.LAB zusammengefunden haben, auch künftig nicht vor leeren Reihen spielen. Deshalb erproben sie neue Formate, die vor allem auf ein jüngeres Publikum zielen.

Bryan Cheng spricht von einer „neuen Verantwortung“, die angehenden Musikern mit Blick auf ihr ergrautes Publikum zukomme. Der 26-Jährige, der aus Kanada stammt, in Berlin Musik studiert und als Cellist bereits auf vielen Bühnen gastiert, ist einer von 13 jungen Musikern und Musikerinnen, die im Brahms.LAB neue Präsentationen erproben, um auch junge Menschen für klassische Konzerte zu interessieren. Laut Projektleiterin Franziska Spohr werden den Beteiligten dabei alle Freiheiten gelassen, sich kreative Konzepte auszudenken und anschließend auf der Bühne umzusetzen. Insgesamt gestalten die Studierenden 16 Konzerte.

Kammermusikerlebnis mit Chang, Thiele und Schepansky

Eines davon hat jetzt in der evangelischen Lukasgemeinde, die im Einzugsbereich der beiden Heidelberger Stadtteile Boxberg und Emmertsgrund liegt, stattgefunden. Cellist Bryan Chang sowie Geigerin Charlotte Thiele und Akkordeonist Julius Schepansky haben sich dabei von der Frage leiten lassen, inwieweit sich Johannes Brahms – seine Werke stehen beim Heidelberger Frühling im Mittelpunkt – als Mensch mit Sinnen und Gefühlen musikalisch erschließen lässt.

Charlotte Thiele studiert in Weimar und spielt Kammermusik in wechselnden Formationen. Sie hat ein Interesse an moderner Musik. Doch setzten Musiker, so ihre Erfahrung, beim Publikum noch immer zu viel voraus. Die 23-Jährige ist überzeugt: Musiker müssten das Repertoire gegenüber dem Publikum besser vermitteln. Auch Julius Schepansky (25), der seinem Professor Joseph Patric nach Montreal gefolgt ist, sieht den klassischen Musiker mehr und mehr in der Rolle eines Kommunikators, der nicht nur mit seinem Instrument vor sein Publikum tritt.

Der junge Akkordeonist versteht sich als Künstler, der in vielerlei Hinsicht kreativ zu sein hat – von der Zusammenstellung des Programms bis zur Frage der Präsentation. Gemeinsam mit Konzertkuratorin Charlotte Thiele und Bryan Cheng rückt Julius Schepansky dem ehernen Denkmal Brahms mit unkonventioneller Spielfreude zu Leibe, die aber keineswegs in Respektlosigkeit umschlägt – wenn sie auch tradierte Wege verlässt.

Das gilt etwa für die Besetzung. Charlotte Thiele und Julius Schepansky spielen zwei Sätze zweier Ungarischer Tänze von Brahms in einem Arrangement für Geige und Akkordeon. Das ist mit leidenschaftlichem Schwung musiziert und hat feurigen Esprit; die derbe Volkstümlichkeit, die beide Solisten inszenieren, ruft Bilder von Tanzenden auf staubigen Heuböden hervor – anspielen sollte diese Musik auf die Vorliebe des Komponisten für scharfe Gewürze.

Mit zwei Lyrischen Stücken Edvard Griegs, die Julius Schepansky auf dem Akkordeon spielt, soll sich die Vorstellungswelt der Hörenden für die Gerüche eines lauen Sommerabends und eines Salons öffnen, in dem sich Zigarrenrauchschwaden mit dem Hauch eines Parfüms mischen. Lyrisches Naturempfinden ist mit der Vertonung jener „Feldeinsamkeit“ angesprochen, die wiederum für Geige und Akkordeon arrangiert ist. Und zwei Sätze aus Bachs Französischer Suite in einer Bearbeitung für Cello und Geige lassen sich als Hinweise auf jenen barocken Urstoff würdigen, von dem sich auch der romantische Brahms genährt hat.

Ideen von Brahms.LAB findet Alternative zu digitalen Konzerten

Das Konzept, musikalische Hörerfahrungen mit außermusikalischen sinnlichen Eindrücken zu verknüpfen, appelliert an synästhetische Fähigkeiten. Zu Max Klingers Bilderzyklus über einen verlorenen Handschuh erklingt Maurice Ravels Sonate für Violine und Cello. Die wilde und kantige Archaik, die expressive Zartheit dieser Musik mit ihren bitonalen und teilweise atonalen Harmoniewirkungen erfahren durch Bryan Cheng und Charlotte Thiele einen beherzten Zugriff. Klingers Zeichnungen, von einem Beamer an die Wand geworfen, lassen sich auf diese Weise als groteske Darstellung eines Fetischs würdigen, die die Tür zur Moderne aufstößt.

Digitale Konzertformate, wie sie in Pandemie-Zeiten genutzt worden sind, haben sich als seriöse Alternative hingegen nicht durchgesetzt. Warum auch? Das Brahms.LAB zeigt: Es gibt bessere Ideen.

Freier Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke