Jazz in Mannheim

Große Gefühle: Altmeister Emil Mangelsdorff im Ella & Louis

Von 
Georg Spindler
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Bestens eingespielte Band (v.l.): Pianist Thilo Wagner, Bassist Jean Philippe Wadle, Saxofonist Emil Mangelsdorff und Schlagzeuger Axel Pape im Mannheimer Jazzclub Ella & Louis. © gespi

Mannheim. Alte Musiker sind wie alter Wein. Jeder Ton respektive jede Traube ist gehaltvoll, durchgegoren, konzentriert. In besonderem Maße gilt dies für Emil Mangelsdorff,  den Altmeister des deutschen Jazz. Sein Sound ist erfüllt von der herben Gerbsäure gelebten Lebens. Seine Instrumentalstimme klingt schrundig, rau, zerfurcht, besitzt aber noch immer einen Biss und eine kantige Schärfe, die das Alter des Jazz-Doyens - er wird im April 96 - verleugnen.

Auf beglückende Weise zu erleben ist dies beim Gastspiel der Frankfurter Musik-Legende im Mannheimer Jazzclub Ella & Louis, die als kostenpflichtiges Streamingkonzert (Karten: ab 18 Euro) im Netz zu sehen ist, noch zwei Wochen lang unter www.ellalouis.online. Mit dem Ex-Mannheimer Thilo Wagner, seit vielen Jahren Mangelsdorffs Kompagnon am Piano, dem Kontrabassisten Jean Philippe Wadle und Schlagzeuger Axel Pape bietet der Saxofonist ein Programm aus Standards, Bluestiteln und Jazz-Klassikern, vor allem aus der Bebop-Ära.

Die Ästhetik jenes Stils mit seinen abstrakten Melodiekürzeln, impulsiven Intervallsprüngen, dichten Harmoniewechseln und kantigen Stop-and Go-Phrasen gibt bei diesem Konzert den Ton an. Heutzutage ist eine solch authentische Huldigung an die Geburtszeit des modernen Jazz höchst selten zu erleben. Obwohl der Bebop die Grammatik für die aktuelle Jazzsprache schuf, hat sich die Musik doch weit davon entfernt. Umso reizvoller, dass Mangelsdorff diese Rückbesinnung auf die Ursprünge ermöglicht.

Aber der 95-Jährige präsentiert im Ella & Louis keinen musealen Aufguss vergangener musikalischer Errungenschaften. Er spielt seine Improvisationslinien mit der Gelassenheit des Alters: entschlackt und weniger notenreich. Was aber nicht heißt, dass er auf Schnelligkeit verzichtet, wie seine rasante Version von Thelonious Monks „Straight No Chaser“ zeigt. Dafür lädt Mangelsdorff sein Spiel, wie einst Art Pepper, mit vokalartiger Vehemenz expressiv auf. In Charlie Parkers „Au Privave“ klingen seine Phrasen wie unter emotionalem Überdruck herausgepresst, ausgewrungen - von Altersmilde ist da keine Spur.

Weit verzweigte Melodieführung

Ein Favorit von Mangelsdorff ist Charlie Parkers Bebop-Hymne „Confirmation“, die mag er wegen ihrer komplizierten, weit verzweigten Melodieführung - es ist wahrlich kein Stück zum Mitpfeifen - und ihren anspruchsvollen Harmoniefolgen. Der Saxofonist durchmisst dabei in einem zupackenden Solo die ganze tonale Bandbreite seines Instruments - von tiefen Lagen, in denen es dunkel knurrt, über helle, lichte Mitten bis hinauf in schrille Höhen, in denen er die Phrasen expressiv zerfransen lässt - ein existenzielles Statement, dessen zerrende Zickzack-Phrasen die Härten eines Jazzlebens in sich tragen.

Unter den Händen Thilo Wagners wird „Confirmation“ dagegen zu einem heiter beswingten, fast lebensfrohen Stück. Der Pianist, einer der unbesungenen Helden des Mainstream-Jazz, sorgt durch seine Beiträge in diesem Quartett für ein spannungsvolles Gegengewicht. Er ist der „jolly joker“, der lustige Schalk, der mit unbändiger Spielfreude vielen Stücken eine vergnügliche Note verleiht. In seinem perlenden Parlando versteckt er aber so manche Preziose: opulent vertrackte Parallel-Läufe, in die Tastatur gepflockte Blockakkorde, leichthändig dahintänzelnde Single-Note-Linien.

Bass und Schlagzeug, seit vier Jahren neu besetzt, agieren im aktuellen Mangelsdorff-Quartett etwas weniger auffällig als früher, eher gruppendienlich, als sich selbst zu sehr selbst in Szene zu setzen. Wadle und Pape sorgen für ein Fundament voller rhythmischer Leichtigkeit. Und der Schlagzeuger bringt durchaus passend traditionelle Bebop-Tugenden ins Spiel, etwa indem er bei „Straight No Chaser“ in seinem Solo der Bluesform folgt.

Emotionale Höhepunkte des Konzertes sind die Balladen, bei denen Mangelsdorff zu Hochform aufläuft. Monks Klassiker „’Round Midnight“ zelebriert er als bewegendes Nocturne-Stück voller bittersüßer Seufzer; als Veteran kennt er wie kaum ein Musiker von heute noch die spezielle „After Hours“-Atmosphäre der frühen Morgenstunden in so manchen Jazzclubs, wenn die Gefühle blank liegen.

Ebenso ergreifend ist das tragische „Lover Man“, in dem der Saxofonist die ganze Zerbrechlichkeit der Liebe ächzend zum Ausdruck bringt. Und schließlich: ein grandioser Slow-Blues mit schmerzvollen Klangverschleifungen und klagenden Tonbeugungen. Solche Musik kann kein Jungspund spielen. Das vermag nur ein Altmeister wie Emil Mangelsdorff.

  • Der Saxofonist Emil Mangelsdorff, geboren 1925 in Frankfurt, Bruder des Posaunisten Albert Mangelsdorff (1928-2005), war 1941-43 Mitglied im Jazz-Ensemble Hot-Club Frankfurt. Die Band gab verbotenerweise heimlich Swing-Konzerte. Mangelsdorff wurde 1943 von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) inhaftiert.
  • Nach Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft 1949 profilierte er sich als Modern-Jazz-Musiker in der Gruppe der Pianistin Jutta Hipp.
  • In den 50er Jahren spielte er auch mit dem Mannheimer Pianisten Wolfgang Lauth. Von 1958 bis 2012 gehörte er zum Jazzensemble des Hessischen Rundfunks.
  • Er veröffentlichte gefeierte Produktionen zu Gedichten Heinrich Heines und Allen Ginsbergs. Seit den 1980er Jahren leitet er ein Quartett, mit dem er die Jazztradition von Swing, Bebop, Cool Jazz und Hardbop mit den musikalischen Freiheiten von heute zusammenbringt. gespi

 

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