Dresden/Mannheim. Seltenes Ereignis in der Opern-Welt: Wenn die Dresdner Semperoper Detlev Glanerts Auftragswerk „Die Jüdin von Toledo“ zur Uraufführung bringt, überträgt das der Deutschlandfunk live, weitere Radiostationen zeitversetzt, im Kultur-Blätterwald rauscht es.
Seit dem in Mannheim uraufgeführten „Spiegel des großen Kaisers“ (1995) hat Glanert ein Dutzend Opern vorgelegt: Vielfach ausgezeichnet und - noch viel bemerkenswerter: Nach der Uraufführungsserie verschwinden die Werke nicht wie so viele andere in der Versenkung, sondern leben weiter. Das ist selten. Und hat Gründe.
Christoph Pohl spielt Alfonso VIII. in Glanderts Oper "Die Jüdin von Toledo"
Glanert schafft es mit seinen Sujets, besonders aber mit seiner eigenständig expressiven Klangsprache nicht nur die Fachwelt zu überzeugen, sondern auch ein breites Publikum zu faszinieren. Das ist sein erklärter Anspruch. Und er erfüllt sich auch jetzt wieder. Die zweite Vorstellung ist fast ausverkauft: Ein gespanntes und neugieriges Publikum lässt sich packen von einem spannenden, soghaften Opern-Thriller.
Ästhetisch in Szene gesetzt von Regisseur Robert Carsen und seinem Ausstatter Luis F. Carvalho. Unter der kompetenten musikalischen Leitung von Jonathan Darlington sind die Sächsische Staatskapelle, das erfreulich textverständliche sechsköpfige Solistenensemble sowie der Staatsopernchor bestens disponiert.
Der Komponist Detlev Glanert
- Detlev Glanert, geb. 1960 in Hamburg, gilt als einer der am meist gespielten und produktivsten zeitgenössischen Komponisten der Welt. Seine erste abendfüllende Oper „Der Spiegel des großen Kaisers“ wurde 1995 am Nationaltheater Mannheim (NTM) uraufgeführt.
- Für die Musikalische Akademie komponierte er 1998 und 2017 Auftragswerke. In der Spielzeit 2002/2003 war Glanert am NTM composer in residence. Seine komische Oper „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ wurde am Nationaltheater 2003 inszeniert.
- Für die an der Deutschen Oper in Berlin uraufgeführte Oper „Oceane“ wurde er 2019 mit dem Oper!Award und 2020 mit dem OPUS Klassik als „Komponist des Jahres“, sowie 2020/2021 mit dem International Opera Award ausgezeichnet.
- „Die Jüdin von Toledo“ ist an der Semperoper am 18. und 26. Februar sowie am 1. und 8. März zu sehen.
Ehezoff im kastilischen Königshaus: Alfonso VIII. (stimmlich wie darstellerisch brillant: Christoph Pohl) flüchtet sich in Kopfschmerzen, wenn er kriegerische Entscheidungen treffen soll. Und dann geht er auch noch fremd. Sieben Monate Auszeit in der Ferienvilla mit der verführerischen, lebenslustigen Rahel. Die im Wortsinn bezaubernde Heidi Stober gibt die Titelpartie mit farbenreichem Sopran und verleiht den lyrischen Passagen der anspruchsvollen, kontrastreichen Partitur den warmen Charakter.
Während die Mauren angriffsbereit vor den Toren des katholischen Toledo stehen, schäumt die betrogene Gattin Eleonore (Tanja Ariane Baumgartner mit dämonischer Tiefe und kühler Präsenz) vor Eifersucht und Machtgier. Aber sie weiß sich zu helfen. Eiskalt instrumentalisiert sie den gemeinsamen, geistig zurückgebliebenen Sohn. Kann da denn der Vater bei allen Sinnen sein? Darüber hinaus nutzt sie die Tatsache, dass Nebenbuhlerin Rahel Jüdin ist für ihre politischen Zwecke. O-Ton: „Jeder Jude ein Verräter!“
Die Oper "Die Jüdin von Toledo" basiert auf Franz Grillparzers titelgleichem Drama
Mit solch populistischen Argumenten lässt sich der Staatsrat leicht manipulieren. Und sogar der eigene Ehemann. Gepackt an Mannesehre, Macht- und Besitzgier - kurz Vernunft! - unterschreibt Alfonso Rahels Todesurteil: Generalpause. Dann bedrohliches Trommeln, ehe sich die orientalischen Klänge der arabischen Kurzhalslaute Ud einmischen und sich ein riesiger Akkordcluster aufbaut: Suspense-Musik.
Besonders in den orchestralen Zwischenspielen zieht der Komponist alle Register: Eruptive Klangballungen durch harsche Akkorde, abwärts- und aufwärtsgleitende Glissandi, einpeitschende Rhythmik im Schlagwerk, verwischend flirrende Chromatik und verführerische Terzakkorde - suggestiv, expressiv, dramatisch. Es rauscht und duftet, es knallt und tötet. Klanglich nachvollziehbar, verankert in der traditionellen Moderne des 20. Jahrhunderts. Da grüßen von fern Mahler, Strauss, Schostakowitsch und Britten: Und doch klingt es immer nach Detlev Glanert.
Der auf die Reconquista-Zeit zurückgehende Plot, den der Libretto-erprobte Schriftsteller Hans-Ulrich Treichel nach Grillparzers Drama „Die Jüdin von Toledo“ verfasst hat, beinhaltet schon von jeher neben dem psychologischen auch politischen Sprengstoff, treffen doch wie in Lessings Aufklärungsdrama „Nathan der Weise“ die drei Weltreligionen aufeinander. Da ist alles Private eben immer auch politisch. Aber anders als bei Lessing stehen bei Grillparzer im 19. Jahrhundert und heutzutage erst recht die Zeichen auf Katastrophe statt auf Utopie. Das macht Robert Carsen in seiner Bildsprache deutlich. Während Rahel und Alfonso sich im zweiten Akt dem verrückten Liebestaumel hingeben, versöhnen sich im Hintergrund der Säulenhalle die Vertreter aller Religionen. Ein Traum, eine Utopie.
Auf der Bühne der Semperoper Dresden laufen Videos von echten Kriegsschauplätzen
In Wahrheit segnet Alfonso nach dem Auftragsmord im fünften Akt Waffen und Krieger. Indessen verflucht Rahels Schwester Esther (rundum anrührend in ihrer hilflosen Weitsicht: Lilly Jørstad) den König. Dazu spielt Carsen dezent aber eindeutig Videomaterial von aktuellen Kriegsschauplätzen ein. Und gleichzeitig zum Dahinmetzeln der Soldaten erstirbt auch die Musik - übrig bleibt der ratlos ins Publikum blickende Prinz.
Dass die gefallenen Krieger jüdische Gebetstücher um die Schultern tragen, muss nicht jedem gefallen, zumal die Oper diese Eindeutigkeit von Schuldzuweisungen überhaupt nicht nötig hat. Das gebannte Publikum ist dennoch angefasst vom optischen wie akustischen Ende der Oper. Einhellige begeisterte Zustimmung.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-glanerts-meisterwerk-begeistert-die-juedin-von-toledo-erobert-die-semperoper-dresden-_arid,2176729.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html