Vor seinem Spott war in den 1960ern niemand sicher: weder der Mode-Geck, den er in „Dedicated Follower Of Fashion“ verhöhnte, noch der Spießer, der von ihm als langweiliger „Well Respected Man“ karikiert wurde, und erst recht nicht jener reiche Jammerlappen, der in „Sunny Afternoon“ lamentiert, das Finanzamt nehme ihm seine Luxusgüter weg.
Mit diesen Liedern profilierte sich Ray Davies, Sänger, Kopf und Rhythmusgitarrist der britischen Band The Kinks, als einzigartiger Songschreiber. Am 21. Juni wird der Rockstar, der Generationen von Musikern beeinflusst hat, 80 Jahre alt.
Davies beeinflusste Ian Dury, XTC und den Brit-Pop
Mit den Kinks schuf er die Basis für Punk und Hardrock, so unterschiedliche Bands wie The Jam und Van Halen coverten in den 1970ern seine Stücke. Er beeinflusste New-Wave-Größen, Ian Dury etwa oder XTC. Und ohne Davies ist der Brit-Pop der 1990er Jahre schlichtweg undenkbar. Dass dessen Antagonisten Blur und Oasis sich gleichermaßen auf den Kinks-Frontmann beriefen, zeigt die Vielseitigkeit seines Schaffens.
Anfangs verpasste er seiner Band schroffe Riff-Nummern wie „You Really Got Me“ oder „I Need You“, deren krachende Aggressivität 1964/65 ihresgleichen suchte. Die Härte der Gitarrenhiebe schien die ganze Wut von Davies zu artikulieren, der mit sechs Schwestern und seinem Bruder Dave, Leadgitarrist bei den Kinks, in ärmlichsten Verhältnissen in einem Londoner Arbeiterviertel aufgewachsen war.
1967 folgte der Stilwandel: Davies konzentrierte sich nun auf britische Themen, schrieb sozialkritische Texte, schöpfte aus heimischer Music-Hall-Tradition.
Die Songs wurden melodischer, raffinierter, schnörkelreicher, spielten mit Varieté-Anklängen, Ragtime-Floskeln, Polka-Rhythmen, Brass-Band-Hymnen. Konzeptalben entstanden: „Arthur“ (1969) hatte „den Niedergang und Verfall des britischen Weltreichs“ zum Thema. „Lola Versus Powerman“ (1970) nahm den Musikbetrieb aufs Korn und bescherte der Band einen Welt-Hit, der - damals skandalträchtig - die Begegnung mit der Transfrau „Lola“ schilderte.
Rückbesinnung der Kinks in kommerzielle Richtung
Es folgten Multimedia-Projekte mit immer opulenterer Klangpalette, zwischen Rock’n’Roll, Soul, Dixieland, Cabaret, Country und Theatermusik, die aber letztlich überfrachtet wirkten. Höhepunkt: Die „Soap Opera“ (1975), in der ein Star seine Identität mit einem Normalbürger tauscht, um seine Persönlichkeit zu ergründen. Davies schien sich total verzettelt zu haben.
Die Herausforderung durch den Punk sorgte für eine rettende Revitalisierung. Der Bandchef manövrierte die Kinks mit Rückbesinnung auf harte Riffs und brachialem neuem Sound in eine kommerzielle Richtung. Grimmige Songs über wirtschaftliche Rezession („Low Budget“), soziale Verelendung („Living On A Thin Line“) und Lebensfrust („State Of Confusion“) hatten wieder Biss.
In den 1980ern erlebte die Gruppe ein Comeback, hatte Hits wie „Come Dancing“. Doch 1996 kam das Ende, als die in steter Hassliebe verbundenen Davies-Brüder sich endgültig zerstritten. Ray Davies, der über 850 Songs komponiert hat, veröffentlichte seither noch sechs Solo-Alben. Manche wie „Other People’s Life“ (2006) zeigten ihn auf alter Höhe, zuletzt wurde es jedoch ruhig um ihn. Aber er lebt in der Gewissheit, eine Rock-Legende zu sein.
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