Nach dem Ende der Pandemie werden die Menschenmassen auf der Frankfurter Buchmesse zurückerwartet. Zwischen 18. bis 22. Oktober werde es „rappelvoll“, sagt Buchmessen-Direktor Juergen Boos. Die Ticketverkäufe liegen zwei Wochen vor dem Start über denen von 2019. Damals waren mehr als 300 000 Besucher nach Frankfurt gekommen. Inhaltlich hat die Messe dicke Bretter zu bohren – etwa Künstliche Intelligenz und die damit verbundenen Urheberrechtsfragen. Oder weltweite Krisen.
So wird die palästinensische Autorin Adania Shibli nicht wie vorgesehen auf der Buchmesse geehrt. Sie sollte am 20. Oktober mit dem „Liberaturpreis“ des Vereins Litprom ausgezeichnet werden, einer Auszeichnung für Autorinnen aus dem Globalen Süden. Ihr Roman „Eine Nebensache“ war von der Kritik hoch gelobt, aber auch wegen angeblich antisemitischer Klischees kritisiert worden. „Angesichts des Terrors gegen Israel sucht Litprom nach einem geeigneten Rahmen der Veranstaltung zu einem Zeitpunkt nach der Buchmesse“ sagte Buchmessen-Direktor Boos am Freitag. Shiblis Roman behandelt eine Massenvergewaltigung und die Tötung einer Beduinin durch israelische Soldaten im Jahr 1949. Das Buch war bereits für den amerikanischen National Book Award sowie für den International Booker-Prize nominiert. Der Roman ist laut seinem Verlag „eine eindringliche Meditation über Krieg, Gewalt und die Frage nach Gerechtigkeit im Erzählen“.
„Wir verurteilen den barbarischen Terror der Hamas gegen Israel aufs Schärfste“, kommentierte Buchmessen-Direktor Boos die aktuellen Ereignisse. „Der Terror gegen Israel widerspricht allen Werten der Frankfurter Buchmesse.“ Die Messe stehe „mit voller Solidarität an der Seite Israels“. Die Buchmesse wolle daher „jüdische und israelische Stimmen auf der Buchmesse nun besonders sichtbar machen“. Zum Beispiel werde die in Tel Aviv und Berlin lebende Autorin und Friedensaktivistin Lizzie Doron bei der Literaturgala am Samstag auf das Geschehen in Israel Bezug nehmen.
Mehr Aussteller
Zu feiern gibt es allerdings auch etwas: Die Buchmesse feiert einen runden Geburtstag. Seit 75 Jahren treffen sich hier im Herbst Autoren, Verleger und Leser. Eigentlich ist das Event aber älter: Die Geschichte reicht bis ins Mittelalter, das früheste Dokument stammt aus dem 15. Jahrhundert. Das Jubiläum bezieht sich nur auf die Nachkriegszeit, ist aber Grund genug zu feiern.
Der Veranstaltungskatalog ist so dick wie lange nicht. Die Zahl der Aussteller hat um zehn Prozent zugelegt. Im vergangenen Jahr waren es rund 4000 aus knapp 100 Ländern gewesen. Besonders gewachsen ist das Agentenzentrum, wo die internationalen Rechte gehandelt werden. „Die internationalen Gäste sind zurück“, sagt Boos. Indien und China seien so stark vertreten wie noch nie. Rechte Verlage – die Gegenstand erbitterter Debatten waren – bleiben laut Messe weitgehend fern.
Dafür kommt der Kämpfer für Meinungsfreiheit schlechthin: Salman Rushdie. Der indisch-britische Autor, der nach jahrelanger Verfolgung durch islamische Extremisten 2022 bei einem Attentat schwer verletzt wurde, erhält am 22. Oktober den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Zuvor will er an einer Literaturgala teilnehmen und mit Journalisten sprechen. Für den Eröffnungsfestakt am 17. Oktober hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigt. Gastland ist Slowenien.
Bei den Themen, die die Branche besonders umtreibt, steht KI (Künstliche Intelligenz) ganz oben. Ungeklärt ist etwa die „Grauzone“ im Urheberrecht. Wem gehören die Rechte an einem maschinell entstandenen Text? Und wie steht es um die Rechte an den Texten, auf die die KI zurückgegriffen hat? „Da haben wir ein Riesenthema – und da geht es um richtig viel Geld“, sagt Boos.
„Die alten weißen Männer und Frauen unserer Branche sind verunsichert“, sagt Boos. Sie fühlten sich herausgefordert von einer jungen, lauten Generation, die einen anderen Blick auf gesellschaftliche Themen hätte. In den Fachforen könnte viel gestritten werden, zum Beispiel über die Frage, ob Verlage sogenannte Sensitivity Reader brauchen, um kritische Stellen in Texten zu entschärfen. Die Buchmesse sei der richtige Ort, um darüber zu verhandeln, sagt Boos. „Wir müssen voneinander lernen. Wir wollen miteinander ins Geschäft kommen.“
Vieles neu organisiert
Daher bekommt ein Aussteller, der 2022 zum ersten Mal dabei war, 2023 eine größere Bühne: das Videoportal Tiktok und seine „Booktok“-Community. „Tiktok ist ein wichtiges Absatzinstrument für die gesamte Buchbranche geworden“, so Boos. Der Kanal ziele nicht nur auf die Leser, sondern biete sich der Buchbranche auch als Dienstleister an.
Um die erwarteten Massen zu lenken, hat die Buchmesse manches neu organisiert. Statt stundenlangem Anstehen an Ständen gibt es nun ein „Meet the Author“-Areal, in dem man vorab einen Termin buchen kann für Autogramme oder Selfies. Die Publikumsveranstaltungen in der Stadt („Bookfest“) finden erstmals nur in Buchhandlungen, Büchereien und Bibliotheken statt. Neu ist auch ein Angebot für Familien unter dem Namen „Frankfurt Kids Festival“. Dafür müssen die Besucher auf ein beliebtes Format verzichten: Das „Blaue Sofa“ von Bertelsmann, ZDF, Deutschlandfunk und 3sat ist nicht auf der Messe. dpa
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