Auf die Wettervorhersage im Internet sollte man sich genauso wenig verlassen wie auf manches Navigationsgerät. Am Samstag kein Regen in Mannheim, wurde da vollmundig versprochen; erstaunlich, dass doch so viele bunte Regencapes raschelnd ausgepackt wurden, als kurz vor der Pause die ersten großen Tropfen fielen. Akkurat wie vor zwei Jahren beim letzten Mannheimer „Schloss in Flammen“-Event, den das Mannheimer Nationaltheater gemeinsam mit Yellow Concerts abwechselnd in Mannheim und Schwetzingen veranstaltet. Auch 2019 also ein warmer Sommerabend mit zwei kleinen Regentropfen-Intermezzi; auch vor Konzertbeginn war das Publikum schon für ein paar Minuten unter die seitlichen Arkaden geflüchtet.
Gute Programmauswahl
Wie zumeist ist die Dramaturgie des Abends hoch zu loben, die eben nicht mit „Verdis und Puccinis Greatest Hits“ aufwartete, sondern im ersten Programmteil selten zu hörende Perlen des Belcanto-Zeitalters von Rossini, Bellini und Donizetti präsentierte und nach der Pause Juwelen der heutzutage schwer vernachlässigten deutschen Spieloper – quasi „Ach so fromm“ statt „Nessun dorma“. Überaus herzlich wurde Mannheims junger Generalmusikdirektor Alexander Soddy bejubelt, sonst meist im Graben verborgen, diesmal im hellen Rampenlicht und auf der großen Leinwand zu bewundern.
„Chakos“ gelungene Moderation
Zum Auftakt Gioacchino Rossini: Nach der genialen Ouvertüre zu „Guillaume Tell“, deren sanfte Einleitung (Solocello: Fritjof von Gagern) so effektvoll mit der federnden Eleganz der virtuosen Streicherfiguren im Allegro-Teil kontrastiert, Auftritt des etatmäßigen Moderators. Christian „Chako“ Habekost, dem es immer wieder gelingt, opernaffine Bildungsbürger mit eventsüchtiger Laufkundschaft zur jubelnden Menge zu vereinen.
Diesmal war er (zu Recht!) hingerissen vom Dirigenten Soddy, den er zutraulich Alex nannte. Nach der Ouvertüre sang Amelia Scicolone aus der gleichen Oper die Arie der Mathilde „Sombre forêts“, wobei sie sich mühelos in dreigestrichenen Sphären tummelte. Aus der selten aufgeführten Oper „Maometto II.“ sang der Bassist Sung Ha mit herrscherlicher Attitüde die Arie des Titelhelden „Sorgete, sorgete“. Das Duett „Si fuggire“ aus Vincenzo Bellinis Oper „I Capuleti e I Montecchi“ war den schönen Stimmen von Amelia Scicolone (Julia) und Jelena Kordic (Romeo) anvertraut, was bei „Chako“ gleich ein Seminar über Hosenrollen und Kastraten auslöste.
Schließlich drei Mal Gaetano Donizetti: Nach der großartig zelebrierten Ouvertüre zu „Anna Bolena“ die populäre Arie des Nemorino „Una furtiva lagrima“ aus „L’elisir d’amore“ (Joshua Whitener mit perfekt sitzendem lyrischem Tenor) und die Arie „O mio Fernando“ aus „La Favorita“, deren grandiose Interpretation durch Jelena Kordic allerdings durch den Regenschauer mit Regencape-Geraschel und Fluchtgetrappel stark beeinträchtigt wurde.
Kuschelfaktor nimmt zu
Nach der Pause, als der verdiente Applaus für Kordic nachgeholt, die Stühle getrocknet, als es trocken und dunkel und der Kuschelfaktor höher war, die deutsche Spieloper. Nach der brillant musizierten Ouvertüre zu Otto Nicolais „Lustigen Weibern von Windsor“ sang Astrid Kessler mit ansteckendem Temperament „Nun eilt herbei“, danach Joshua Whitener „Ach so fromm“ aus Friedrich von Flotows „Martha“. Joachim Goltz, einziger Mannheimer im Ensemble, verwand den Schock, von „Chako“ als Heidelberger(!) angesagt zu werden, und rief zu „Heiterkeit und Fröhlichkeit“ auf (aus Albert Lortzings „Wildschütz“).
Hinreißende Tanzeinlage
Drei Ausschnitte gab’s aus der „deutschesten aller Opern“, Carl Maria von Webers „Freischütz“: die fulminante Ouvertüre, die Arie des Kaspar „Schweig“ (Patrick Zielke mit bedrohlichem Bass) und Agathes beseeltes „Wie nahte mir der Schlummer“ (Astrid Kessler). Mit Abendsegen und Traumpantomime aus Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ (mit Kordic/Scicolone), wozu noch die bezaubernden „Engel“ der Tanzschule Birgitta Lange durch den Schlosshof schwebten, leitete das Orchester über zur anspruchsvollen „Begleitung“ des wiederum von Renzo Cargnelutti und Thomas Fischer formidabel gestalteten Brillantfeuerwerks.
Für den schönsten Picknickplatz beglückwünschte Opernintendant Albrecht Puhlmann übrigens Signe Mikulane und Nico Bartak.
Was ist Belcanto?
- Wörtlich übersetzt heißt Belcanto „schöner Gesang“. Aber auch, musikhistorisch gesehen, in Italien die Zeit zwischen dem ausgehenden 16. bis Mitte des 19. Jahrhunderts.
- Zu den wichtigen Elementen des Belcanto zählen Ausschmückungen einer Gesangsmelodie durch Koloraturen (Verzierungen), Fiorituren (Umspielungen) und Triller.
- Die prominentesten Vertreter der Belcanto-Ära sind Gioacchino Rossini, Vincenzo Bellini, Gaetano Donizetti und der frühe Giuseppe Verdi.
- Die Belcanto-Arie ist immer zweigeteilt, in eine lyrische Cavatina und eine, meist durch eine spannungsgeladene Generalpause vorbereitete feurig-virtuose Cabaletta. Gelegentlich wird der Arie noch ein Recitativo im Parlando-Stil vorangestellt.
- Der versierte Opernkenner klatscht nie zwischen Cavatina und Cabaletta.
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