Von wegen "Forever Young"! MTV, ein großes Stück Popkultur, wird 30 Jahre alt. Anfang August 1981 ging der Kanal Music Television auf Sendung und verlautbarte durch Trevor Horn: "Video Killed the Radio Star". Das stimmte. Mittlerweile stimmt aber auch, was Robbie Williams vor Jahren sang: "Reality Killed The Video Star". Über den Auf- und Abstieg von MTV sprechen wir mit Medienspezialist Gerd Hallenberger.
Warum war MTV auf Anhieb so erfolgreich?
Gerd Hallenberger: MTV war gemeinsam mit dem Nachrichtensender CNN einer der ersten Spartenkanäle überhaupt. Damals wurde in den USA das Kabelfernsehen eingeführt. An dessen Erfolg hatten die beiden Sender erheblichen Anteil. Mitte der Achtziger vollzog sich die Verkabelung auch in den anderen westlichen Staaten, deshalb war MTV schon früh international in den Kabelnetzen vertreten.
Was war das Neue an MTV?
Hallenberger: Zum einen natürlich Musik rund um die Uhr, zum anderen die Videoclips. Promotion-Clips für neue Songs waren bis dahin in der Regel abgefilmte oder nachgestellte Bühnenauftritte. 1975 hatte Queen mit "Bohemian Rhapsody" bewiesen, dass ein Musikvideo den Verkaufserfolg steigern kann. Fortan war die Musikindustrie bereit, viel Geld in diese Werbeform zu investieren, und mit MTV bekam sie die perfekte Plattform.
Aus Sicht der Musikindustrie kam MTV also genau zur richtigen Zeit?
Hallenberger: Ja, aber auch aus Sicht der Musiker. Für die in England auf den Punk folgende New Wave waren Aussehen und Kostüme sehr wichtig, gerade bei New-Romantic-Bands wie Spandau Ballett oder Visage war der Stil integraler Teil des Gesamtkonzepts. In den Videos gab es daher immer tatsächlich auch was zu sehen. Der Erfolg einer Band wie Duran Duran basierte ganz wesentlich auf dem Einsatz der Videos.
Anfangs sah MTV überall auf der Welt gleich aus. Warum hat man dieses Erfolgskonzept verändert?
Hallenberger: Viele Künstler, die in ihrem Land sehr erfolgreich waren, fanden auf MTV nicht statt. Deshalb wurden Sender wie Viva gegründet. MTV musste reagieren, um auch weiter der Musiksender Nummer eins zu bleiben, und sich an die nationalen Märkte anpassen. Deshalb entwickelte man ein "Glokalisierungskonzept": Es gab weiterhin Weltstars wie Madonna und Michael Jackson, aber eben auch die regionalen Größen.
Warum hat sich neben Viva kein anderer deutscher Musiksender etabliert?
Hallenberger: Versuche gab es durchaus, zum Beispiel mit "Musicbox" aus München, aber die fanden überwiegend in der Pionierphase Mitte der Achtziger statt. Musikvideos zu zeigen war einer der billigsten Wege, einen TV-Sender zu betreiben, denn das Material gab's ja umsonst. Aber es war immer ein Nischenmarkt, auf dem sich nicht viel Geld verdienen ließ.
Ist das der Grund, warum MTV und Viva immer weniger Musikvideos zeigten?
Hallenberger: Das hat eher mit der Entwicklung der Musikindustrie zu tun. Die Plattenfirmen hatten ja schon in den Neunzigern wachsende Probleme. Zehn Jahre zuvor war es noch möglich, neue Künstler mit Hilfe aufwendiger Videos zu etablieren, aber das klappte nun nicht mehr. Außerdem hat sich der Musikmarkt in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren enorm segmentiert. Es gibt keinen Mainstream mehr, der mehrere Generationen anspricht. Letzter Popstar dieser Art war Robbie Williams. Mittlerweile besteht der Musikmarkt aus vielen zum Teil allerdings großen Nischen. Dadurch hat auch die Bedeutung der Videos abgenommen.
Gilt das nicht auch in künstlerischer Hinsicht?
Hallenberger: Das ist eine logische Entwicklung. Wenn aufwendige Musikvideos nicht automatisch zu höheren Verkaufszahlen führen, werden die Budgets kleiner. Deshalb wirken viele Videos heute wie von der Stange.
Ist YouTube das MTV von heute?
Hallenberger: Ja, zumal YouTube im Gegensatz zu MTV nicht ein Programm für alle, sondern alles zu jeder Zeit bietet. Man ist als Nutzer sein eigener Programmdirektor. Die YouTube-Generation ist dem linearen Fernsehen ohnehin abhandengekommen.
1981 war "Video Killed the Radio Star" das erste Video bei MTV. Robbie Williams hat sein letztes Soloalbum "Reality Killed the Video Star" genannt. Hat er recht?
Hallenberger: Was MTV betrifft: ja. MTV ist heute ein Kanal, der bevorzugt sogenanntes Reality-Fernsehen zeigt. Konsequenterweise nennt sich der Sender ja auch nicht mehr Music Television.
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