Klassik - Uraufführung von Tobias Breitners Messe für Chor, Blechbläser und Orgel in der Mannheimer Heilig-Geist-Kirche

Entfesseltes Gotteslob mit elektrisierten Sopranen

Von 
Anna Schweingel
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Drei Chöre vereinen sich zu einem fein abgestimmten Klangkörper. © Sg

Begeisterung! Verstehen! Liebe! Und: Unverfügbarkeit – das ist Pfingsten, Fest des Heiligen Geistes, in der Heilig-Geist-Gemeinde gefeiert mit der Uraufführung von Tobias Breitners Messe für Chor, Blechbläser und Orgel.

Gleich zu Beginn, im Kyrie, wird die Tür zum heiligen Raum geöffnet, in dem die drei Klangkörper mit ihrer je eigenen Qualität in Trialog treten: Die Orgel als verlässliche Grundschwingung, königliche Trompeten und die Wärme menschlicher Stimmen. Das Kyrie entwickelt sich in aller Ruhe in die Höhe, wie eine vorsichtige Vergebungsbitte, um dann von Orgelclustern und kanonartigen Chorrufen wieder hinabgerissen zu werden. Ein babylonischer, vorpfingstlicher Zustand; Sprachwirrwarr und Dissonanz, schließlich feierlich erlöst von einenden Trompetenfanfaren.

Das Gloria wird zur waghalsigen Partie für alle Beteiligten. Häufige Taktwechsel, mit denen Breitner – Kirchenmusiker an der Jesuitenkirche – herauskitzelt, was in seiner Zunft heute möglich ist: Wolfram Koloseus an der Orgel braust souverän durch das, was der Komponist von den Tonarten übrig lässt. Die Bläser um Falk Zimmermann brauchen starke Nerven – und der Chor, aus drei Ensembles von Jesuiten- und Heilig-Geist-Kirche homogen zusammengefügt, wird zum Rhythmusinstrument, das Bezirkskantor Alexander Niehues mit Präzision schlägt. Ein entfesseltes Gotteslob, bei dem man sich wundert, dass dieses Werk nichts mit Pfingsten zu tun haben soll, klingt es doch wie die Flammenzungen auf Emil Noldes Pfingstbild: orgelnde Aufregung, bis zum As elektrisierte Soprane und Trompeten-Leuchtkugeln wie beim Feuerwerksfinale.

Beeindruckende Ruhe

Ein Hörgenuss ist auch die von Pfarrer Dietmar Mathe gesungene Pfingstliturgie, die wie selbstverständlich in erneute Klangschichten und „Sanctus“-Rufe übergeht. Das Allerheiligste glänzt mit Ruhe. Überhaupt ist dies die Stärke des Werkes: Es fügt sich stimmig in den Ritus, zeigt Kante, ohne exaltiert zu sein, ist für Amateurchöre singbar und, das Wichtigste: Es lädt zum Hören ein.

Das Agnus Dei schließlich fordert den Chor heraus, wird hier doch Olivier Messiaens 2. Modus als Tonmaterial verwendet. Taktlos, maßlos, diese Geschichte vom Gekreuzigten und Auferstandenen; da liegt der Chor nackt da, fast a cappella muss er Unerhörtes zu Gehör bringen. Das schwebende Potenzial dieser Klänge könnte mit mehr Selbstverständlichkeit der Stimmen sicher noch stärker entfaltet werden, aber Messiaens Modalität ist auch Singen ohne doppelten Boden. Am Ende mit „dona pacem“ die universelle Bitte um Frieden und ein pfingstliches Summen. Ein Werk, dem man viele Hörer wünscht – zum Beispiel am 13. Oktober in der Jesuitenkirche.

Freie Autorin

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