Pop - Der Gitarrist Carlos Santana hat heute Geburtstag / Kosho von den Söhnen Mannheims gratuliert der Rock-Ikone, die 1969 in Woodstock berühmt wurde

Echt jetzt ! Schon 70 ?

Von 
Michael "Kosho" Koschorreck
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Saitenvirtuose voller Hingabe: Carlos Santana, hier beim Cap Roig Festival im spanischen Girona.

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Nur wenige Gitarristen werden so unmittelbar an ihrem "Sound" erkannt wie Carlos Santana. Und es gibt sicher keinen einzigen ambitionierten Elektro-Gitarristen auf der Welt meiner Generation, der Santana nicht kennt. Kein Wunder, denn selbst Menschen, die zwischen 1969 und 1979 jung bis sehr jung waren, aber noch nie eine Gitarre in den Händen gehalten hatten, kannten zumindest sein "Samba Pa Ti", das Instrumental-Stück, bei dem alle Tanzpaare anfingen sich ganz tief in die Augen zu schauen, zumindest solange, bis dieser Evergreen der Woodstock-Generation sein Tempo verdoppelte.

Und sich dann diese unverkennbare, singende Gitarre von Carlos Santana mit dem bis eben noch ruhig und gemäßigt pulsierenden Geflecht aus Congas, Schlagzeug, Hammondorgel, Rhythmusgitarre und Bass zu einer der zärtlichsten Ekstasen der instrumentalen Popmusik steigerte.

Was dann unter Umständen passierte, haben viele Paare oft nicht mehr unter Kontrolle haben wollen.

So haben also auch meine Eltern schon 1970 mit ihren Freunden auf dieses Stück getanzt - aber als ich dann ein paar Jahre später (ohne Eltern) die ersten Teenager-Feten besuchte, konnte man diese Nummer immer noch hören, natürlich meistens dann, wenn der Disc-Jockey das Licht im Party-Keller ziemlich weit runterdimmte.

Variantenreiche Tonbildung

Obwohl ich dem langsamen Tanzen durchaus nicht abgeneigt war, beschäftigte mich als angehender Gitarrist dennoch vor allem die sagenhaft variantenreiche und subtile Tonbildung von Meister Santana sowie seine Fertigkeit, mithilfe schneller Justierung des Lautstärkereglers an der E-Gitarre in Verbindung mit unterschiedlicher Anschlagstärke ganz klare, glockige bis heisere, verzerrte, ja schreiende Töne zu erzeugen.

Wie könnte ich selbst auch so spielen lernen? Es gab kein YouTube und mein Lehrer war voll auf Country. Und ich besaß ja nur eine mit Stahlsaiten bespannte klassische Gitarre, für die ich mir von meinem Taschengeld einen Tonabnehmer zusammengespart hatte. Über die strahlend weiße Braun-Stereoanlage meiner Eltern hatte mein Sound zwar ziemlich viel Ähnlichkeit mit dem Riff von "Satisfaction" der Rolling Stones, war aber Lichtjahre entfernt von dem warmen Feeling des göttlichen Santana-Tons.

Ich gab es mangels Equipment auf, ein Santana-Imitator sein zu wollen. Bis ich kurze Zeit später erneut fasziniert werden sollte von Santanas neuestem Hit: "Europa".

Diese Komposition zeigte nun Carlos auf einem weiteren Höhepunkt seines Schaffens, denn er hatte sich hörbar weiterentwickelt: Sein Klang war strahlender und runder geworden, mit der oft zelebrierten Möglichkeit schier unendlichen "Sustains", also sehr lange ausgehaltener Noten, was für Gitarristen schon immer ein leuchtendes, aber oft nur schwer bis gar nicht erreichbares Ziel ist.

Sein Ton war jetzt zwar nicht mehr so rau und direkt wie auf den ersten Alben mit all den unsterblichen Latin-Hits wie "Evil Ways", "Black Magic Woman", "Oye Como Va" und natürlich "Samba Pa Ti". Aber seine in "Europa" hörbar vermehrte Fähigkeit, einen ergreifenden Melodiebogen zu spannen, zu variieren und sich bis hin zum Schluss in immer virtuosere Tonspiralen im Wechsel mit Gänsehaut machenden Schreien hineinzusteigern, war und ist einfach phänomenal.

Hört man sich nun durch Carlos Santanas spätere Alben, so wird klar, dass er zwar bereits 1969 - als 22-Jähriger - in Woodstock und mit dem fast gleichzeitig erscheinenden allerersten "Santana"-Album seinen einzigartigen und vitalen Stil gefunden und spätestens mit "Europa" diesen noch verfeinert hatte. Dass er aber nicht aufhörte, neue Wege zu gehen und interessante Begegnungen mit jungen Musikern zu suchen.

Beeindruckendes Beispiel ist hierfür das Album "Supernatural" von 1999, für das alleine er neun Grammys erhielt und mit dem er, 30 Jahre nach seinem magischen Auftritt und Durchbruch in Woodstock, noch erfolgreicher war als mit jedem Album zuvor. Aber auch seine aktuelle Veröffentlichung vom letzten Jahr ist äußerst hörenswert, denn hier schließt sich ein Kreis.

Gespür für Zwischentöne

Mit den Musikern von "Santana III" (1971) geht er in "Santana IV" (2016) und dem kurz darauf erschienenen Live-Album auch musikalisch zurück zu seinen Wurzeln, leidenschaftlich, vital und spontan, wie schon damals ohne Rücksicht auf eine schiefe Note hier und da, aber mit Überzeugung und Gespür für die Zwischentöne.

Carlos Santana wird 70. Was sagt mir das eigentlich? Es ist möglich, mit 30, 60, 70, ja mit Glück wahrscheinlich auch mit 80 und mehr Jahren nicht nur am Leben, sondern lebendig zu sein. Es ist möglich, im Laufe eines langen Lebens immer wieder neue Menschen zu treffen, neu anzufangen, neue Dinge auszuprobieren und da nochmal anzuknüpfen, wo man schon mal etwas Gutes und Schönes am Laufen hatte. Es ist möglich, sich selbst weiter zu entwickeln und etwas, das einem am Herzen liegt, wachsen zu lassen.

Für mich klingt es, als hörte ich genau das aus der Gitarre von Santana, ganz gleich ob der alte oder der junge für mich spielen.

Unser Gastautor

  • Kosho, mit bürgerlichem Namen Michael Koschorreck (Bild, 55), ist als Gitarrist der Söhne Mannheims bekannt. Er hat auf rund 150 Tonträgern und bei Filmmusiken mitgewirkt.
  • Unter seinem Namen erschienen drei Soloalben, auf denen er originelle Grenzgänge zwischen Pop, Jazz, Chanson und Klassik unternimmt. Erfolge feiert er auch im Trio Cobody mit Erwin Ditzner (Schlagzeug) und Jo Bartmes (Orgel).
  • Mit den Söhnen Mannheims erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, etwa den "Echo" und "Comet".
  • Seit 2003 ist er Dozent für Gitarre an der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim. (Bild: Kosho)

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