Mannheim. Umut hilft ihr, das Tränengas aus den Augen zu bekommen, das Janina unvermittelt getroffen hat. Es ist Juni 2013 und die Demonstrationen gegen das geplante Bauvorhaben im Istanbuler Gezi-Park beginnen, sich zu einer landesweiten regierungskritischen Protestwelle ausweiten, als sich die beiden begegnen - und verlieben. Umut, die Aktivistin der LGBT*-Bewegung, und Janina, die Astrophysikerin aus Berlin. „Liebe oder Revolution?“, wird Ahmet fragen, Umuts Mitstreiter und Freund seit Kindheitstagen.
In Ebru Nihan Celkans Stück „Last Park Standing“, das in der Regie von Pascal Wieandt am Mannheimer Theaterhaus G7 Premiere feiert, spielt Seda Güngör Umut, Johanna Withalm die Janina und Ahmet wird von Cem Göktas verkörpert, der in Wieandts Inszenierung indes nur in Gestalt von Projektionen (Video: Benjamin Breitkopf) in Erscheinung tritt.
Viel von der Handlung wird von den Spielerinnen erzählt, in fließenden Übergängen zu Dialogen, die zwischen stehenden und liegen Absperrgittern, neben einem umgestürzten Müllcontainer und einer verschütteten Parkbank geführt werden (Bühne und Kostüme: Isabell Wibbeke).
Die nichtlinear, in Istanbuler und Berliner Episoden erzählte Geschichte von „Last Park Standing“ erstreckt sich über fünf Jahre und verläuft entlang der historischen Umbrüche - als die Gezi-Park-Proteste starteten, als die Regierungspartei AKP bei der Parlamentswahl 2015 die absolute Mehrheit verfehlte, sie bei der Neuwahl 2015 jedoch wieder errang. Als ein Putschversuch des Militärs 2016 fehlschlug und der Ausnahmezustand ausgerufen wurde, wonach es zu Massenverhaftungen und -entlassungen kam. Als das Land nach einer Volksabstimmung 2017 zu einem präsidialen System umgebaut wurde, in dem Recep Tayyip Erdogan Staatsoberhaupt und Regierungschef in Personalunion ist.
Es sind Zeitläufe, die sich in die Figuren eingraben. In Ahmet, der bei einer Begegnung nach seiner Haftentlassung ein anderer und in fiebrig-fahriger Dreier-Projektion multipel gebrochen scheint (während wir Göktas bis dahin lieber leibhaftig auf der Bühne gesehen hätten - hier ist das Stilmittel effektvoll eingesetzt). Und aus Umuts euphorischem „Alles ist möglich“-Slogan ist eine namenlose Erschöpfung geworden.
Eine politische Tragödie
Darüber verlieren auch die Liebenden, die sich so nah und zart und innig verbunden waren, den Takt des anderen, erscheinen wie zwei Zahnräder, die nicht mehr ineinandergreifen können und sich in disparaten Kontaktversuchen schmerzvoll zerreiben.
Es geht einem nah, wie Güngör und Withalm das feinnervig spielen, das Glück des Paares; und es geht einem noch näher, wie es in Umut mitsamt der Hoffnung auf eine veränderte Welt zu zerfallen beginnt. Und weil Geschichte immer nur durch das Schicksal der Menschen zu erfassen ist, die sie schreiben und erleiden, ist dieses Stück eine anrührende und in all ihrer Innerlichkeit sehr politische Tragödie.
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