Bensheim. Was wäre, wenn Dornröschen in der Gegenwart erwachte? Wachgeküsst von Graf Kevin, der mit E-Porsche und Handy ans baufällige Schloss düst und der schlummernden Prinzessin das entscheidende Lippenbekenntnis schenkt. Aber auch sonst dreht die Musik-Bühne Mannheim den Märchenklassiker ordentlich durch den dramaturgischen Fleischwolf. Heraus kommt eine flott-frivole Collage aus Musical und Operette, die zwei Monate nach der Wormser Uraufführung auch das Bensheimer Publikum bestens unterhalten hat.
Rund 300 Zuschauer kamen am Donnerstag ins Parktheater, um die kurzweilige Inszenierung von Eberhard Streul zu erleben. Der Regisseur und Librettist, der Anfang der 1980er Jahre als Operndramaturg und Regisseur an das Nationaltheater Mannheim kam, hat dem von den Brüdern Grimm notierten Stoff mit französischen Wurzeln ein paar augenzwinkernd komische Facetten zugefügt.
Bereits Mitte der 90er Jahre hatte er Dornröschen als Familienmusical auf die Bühne gebracht – schon damals mit der Musik von Frank Steuerwald, der seither immer wieder mit Streul zusammengearbeitet hat. Jetzt kommt das Märchen etwas schlüpfriger daher, entgegen des mahnenden Untertitels („Nur für Erwachsene“) aber noch immer eindeutig jugendfrei.
Wunderbar leichte Unterhaltung
Sechs Darsteller in zehn Rollen und ein vielbeschäftigter Pianist, der musikalische Leiter Dmitrij Koscheew, sorgen für wunderbar leichte Unterhaltung und einen pointenreichen Verlauf. In Bensheim präsentierte sich ein leidenschaftlich aufspielendes Ensemble, das auch bei den Gesangseinlagen überzeugen konnte. Allen voran die klassisch ausgebildete Sopranistin Daniela Grundmann, die 1989 zusammen mit Eberhard Streul aus der Opernschule Mannheim heraus die Musikbühne Mannheim gegründet hat, die bald als erfolgreiche Tourneebühne reüssieren konnte.
Seit 2015 ist sie Leiterin der Bühne. Als böse Fee und neuzeitliche Geschäftsfrau gehört sie zu den tragenden Rollen der Inszenierung, die mit Christina Prieur (Königin Gertrud) und Annike Debus in der Titelrolle zwei weitere Sopranistinnen an die Märchenfront schickt.
Tenor Ingo Wackenhut ist als Prinz und dessen Urenkel Kevin zu sehen und zu hören, als doof-naiver König hat Schauspieler Christian Birko-Flemming etliche Lacher auf seiner Seite. Der Sänger und Chorleiter Volker Gütermann übernimmt die Rolle des Kochs und führt das Publikum souverän als Erzähler durch die Handlung, die ganz klassisch beginnt und nach der Pause eine völlig neue Wendung nimmt.
Der Anfang ist allseits bekannt: Das Königspaar wünscht sich ein Kind. Und der Frosch prophezeit die frohe Botschaft noch innerhalb des nächsten Jahres. Doch wie soll das gehen ohne Erzeuger? Weil die erotisierenden Sellerieknollen des Küchenchefs allein den Bauch kaum schwellen lassen und die Sehnsucht stärker ist als das Eheversprechen mit dem abwesenden Alleinherrscher, der ohnehin lieber Krieg spielt, beugt sich die Königin den Avancen eines im Nebel auftauchenden Galans: einem blütenweißen Franzosen mit eindeutigen Absichten, mit dem sie zunächst das Racket schwingt und sogleich hinterm Paravent am Nachwuchs arbeitet („Nur ein süßes Spiel!“). Ergo: Die edle Prinzessin ist ein Kuckuckskind, die Thronfolge wird durch eine spontane Nummer mit einer verwandelten Amphibie gesichert.
Dann wird es ernst: Weil für die Tauffeier des Babys nur sechs Goldteller für sieben vornehme Schwestern zur Verfügung stehen, wird eine der Damen nicht eingeladen, worauf sich die finstere Danimonia (Daniela Grundmann) mit einer bösen Prophezeiung rächt: Am 16. Geburtstag der Prinzessin möge sich diese an einer Spindel stechen und sterben.
Doch die gute Fee Hermine (Annike Debus) kann den Fluch mildern und als Kompromiss einen 100-jährigen Schlaf aushandeln. Es kommt, wie es kommen muss: Der König lässt zwar sämtliche Spindeln im Reich vernichten, doch Danimonia verführt die Tochter an ihrem Geburtstag zum Spinnen, indem sie an ihr solidarisches Gewissen appelliert: Der Winter werde bitterkalt und das Heizen im Zuge der Energiekrise zudem immer teurer. Die gesponnenen Fäden sollen Pullover für die Armen werden. Es folgt der berühmte Pieks, worauf alle Schlossbewohner in einen Tiefschlaf fallen – auf der Bühne szenisch fein umgesetzt, indem alle Akteure immer langsamer sprechen und schließlich auch körperlich einfrieren.
Dialogreiches Finale
100 Jahre später treffen die Zuschauer einen Urenkel des Prinzen, mit dem Dornröschen einst verlobt war. Und auch die böse Fee taucht wieder auf, jetzt als dunkle Maklerin, die marode Immobilien verkauft. Vier Millionen soll das Schloss kosten. Doch der reiche Russe mit Vorkaufsrecht ist momentan indisponiert, und die Steuerfahndung hat bereits die Fährte aufgenommen.
Die Welt ist eine andere geworden: „Kutschen“ fahren ohne Chauffeur, die Menschen schneiden sich Löcher in ihre Hosen und sprechen in kleine Kästchen voll künstlicher Intelligenz. „Nicht mehr selbst denken müssen“, das gefällt dem intellektuell minderbemittelten König.
Doch auch das eigene Kleinhirn bleibt durchblutet, denn der rätselhafte junge Mann im Bettler-Look, dessen Kuss die Adels-Mischpoke aus dem Reich der Träume befreite, hat es nicht nur auf das Schloss, sondern auch auf seine Tochter abgesehen. Nach einem dialogreichen Finale wird am Ende – mit leichter Verspätung – dann doch noch Hochzeit gefeiert.
Autor Eberhard Streul hat aus der Vorlage eine amüsante Revue gezaubert, die nach der Pause zwar etwas an Esprit und dialogischer Mousseux verliert, aber insgesamt als beschwingtes musikalisches Kammerspiel in Erinnerung bleibt. Das liegt an Streuls einfallsreicher Bearbeitung, der fließend perlenden Pianobegleitung und an einem physisch wie gesanglich vital und harmonisch agierenden Ensemble. Ein märchenhaft frecher Spaß. Nicht nur für Erwachsene.
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