Lesen.Hören - Jayrôme C. Robinet spricht mit Reyhan Sahin – jedoch viel zu wenig über seine Erfahrungen mit der Geschlechtsangleichung

„Dieser Mann bin jetzt ich“

Von 
Anne-Kathrin Jeschke
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Als Frau geboren, lebt Jayrôme C. Robinet nun als Mann. © Ghandtschi

Es hätte ein so wichtiger Abend werden können: Jayrôme C. Robinet soll beim Literaturfestival Lesen.Hören in der Alten Feuerwache erzählen, wie es sich in unserer Gesellschaft anfühlt, von einer Frau zum Mann zu werden. Doch unter dem Titel „Treffen sich zwei Freund*innen“ kommt es in Mannheim ein bisschen anders: Reyhan Sahin, als Rapperin Dr. (früher: Lady) Bitch Ray bekannte Linguistin, und Robinet reden: zunächst über Wortkunst, Sprachwissenschaft und Feminismus. Das ist nicht uninteressant. Im Gegenteil: Oft ist es klug und witzig.

Doch Robinet kommt zu kurz. Die Zeit ist knapp – und an diesem Abend besonders kostbar. „Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund“: Der Buchtitel ist komplex, aber so ist auch die Lage. Erst 2018 wurde Transsexualität von der Liste psychischer Krankheiten gestrichen. Menschen, die ihr Geschlecht angleichen, werden diskriminiert, verletzt, angegriffen.

Wirkung von Worten untersucht

Robinet erzählt, dass er als 16-Jährige fast ein Jahr lang nicht gesprochen hat – aus dem Gefühl heraus, nicht oder missverstanden zu werden. In seiner Spoken-Word-Performance plädiert er dafür, Realität endlich als Reales zu betrachten. „Es wird Zeit für namenlose Körper“, heißt es darin. Zeit für ein „Anrecht auf Worte, die friedlich sind“. In seiner wissenschaftlichen Arbeit sei ihm bewusstgeworden, dass sich Sprache auch körperlich auswirkt. Robinet untersucht, inwiefern Worte nicht nur verletzen, sondern auch heilen und ermächtigen können.

Zum Schluss liest er kurz: Berichtet von der Angst, zum ersten Mal die Männerumkleide zu betreten. Ein Gefühl wie damals, als er als Jugendliche den 10er-Sprungturm erklommen hat. Sie nahm die Leiter runter – für ihn führt kein Weg zurück.

Robinet kam 1999 aus Frankreich nach Deutschland. Er erzählt von seiner Großmutter, deren größte Sorge war, dass ihre Enkelin einen deutschen Mann mit nach Hause bringt. „Omi, der deutsche Mann bin ich jetzt“, sagt Robinet und lacht. Seine Oma hat es nicht mehr mitbekommen. Beim Lesen fühle man die Verzweiflung, sagt Sahin: Wenn die Tochter als Sohn zurück nach Frankreich kehrt und die Tür öffnet. „Man will ein paar Seiten überspringen.“

Für Verzweiflung aber bleibt keine Zeit. Robinet lässt der selbstbewussten Sahin viel Raum. Ihre Geschichte – vom alevitischen „Gastarbeiter“-Kind zur Rapperin, Feministin und angehenden Professorin – würde einen eigenen Abend füllen. Schade, sie haben sich verquatscht. Dabei kann die Mehrheitsgesellschaft so viel von Menschen wie Robinet und Sahin lernen.

Freie Autorin Seit 2014 freie Journalistin in Mannheim. Davor: Journalistik-Studium in Leipzig, Volontariat beim "Mannheimer Morgen", Redakteurin beim "MM" und beim "Öko-Test-Verlag" in Frankfurt.

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