Auch, wenn das Coronavirus vor rund zwei Monaten weite Teile des Mannheimer Kulturlebens quasi zum Erliegen gebracht hat, gibt es Rebellen, die den virtuellen Ersatz für den Genuss zwischen Konzert, Theater und Festival vollkommen undigital um neues Leben erweitern – und mit ihren Spraydosen derzeit mutig zur Tat schreiten.
Dabei trifft die gesprühte Farbkunst, die seit Mittwoch im Quadrat O4 entsteht, in diesen seltsamen Zeiten auf gleich doppelte Art und Weise einen Nerv. Denn einerseits macht das Streetart-Projekt Stadt.Wand.Kunst durch seine großformatigen Graffiti-Motive bereits im kulturellen Normalbetrieb fast schon kultisch auf sich aufmerksam. Andererseits reflektiert das jüngste Werk, das den vielsagenden Titel „Silence“ trägt, gerade und besonders eine Zeit zwischen erzwungenem Stillstand und wohltuender Ruhe in einem rastlosen Leben.
Unverkennbarer Stil
Die Menschen, die das neueste Motiv des Straßenkunst-Projektes Wirklichkeit werden lassen, sind sowohl in der Stadt als auch im Reigen bisheriger Künstler beileibe keine Unbekannten. Bereits 2016 griffen die Fotografin Christina Laube und der Illustrator Mehrdad Zaeri als „Duo Sourati“ ein erstes Mal zur Farbe und ließen mit der „Freiheitstesterin“ im Quadrat B6 ein Werk entstehen, das zwischen reduzierter Ästhetik und couragierter Botschaft eine eigene Handschrift entwickelte.
Ein Stil, der sich im Laufe der Zeit progressiv fortschreiben sollte. Zwei Jahre später formulierte das gigantische Motiv „Abschied und Neubeginn“ die herausfordernde Harmonisierung zwischen Flucht und Heil, 2019 setzte das fast gänzlich schwarz-weiß gehaltene „Imagine“ im jordanischen Amman ein Zeichen für Verständigung und Frieden.
Keine süßen, bunten Bildchen
Wer Laube und Zaeri nach der Philosophie hinter ihren Motiven fragt, bekommt dabei klare Sätze wie diesen zu hören: „Wir verzieren die Stadt nicht mit süßen, bunten Bildchen – wir wollen Geschichten erzählen, die mit uns starten, im Kopf weitergehen und die Menschen wirklich berühren.“ Dass es dafür bei dem Duo keine schrillen Farben oder wilde geometrische Formen braucht, haben die Künstler längst bewiesen.
Vielmehr sind es die feinen Nuancen und Details, die das Auge faszinieren und den Betrachter nachhaltig in seinen Bann ziehen. Die rosa Blütenblätter, die von schwarzen Ästen der Tristesse herabregnen. Das Meer aus Tauben, das eine Schar aus Demonstranten formiert. Und schließlich: Die mutige, weltoffene Frau, die den Schatten ihres Dienerdaseins mit bloßer Tatkraft zu überwinden sucht. Dass Wände keine Bucheinbände sind, möchte man beim Anblick solcher Formlandschaften jedenfalls kaum glauben. Denn ob die gemalten Szenerien nun Fenster, Rohre oder ganze Fassaden-Knicke überwinden: In den Arbeiten von „Sourati“ geschieht dieser Schritt in fast spielerisch-ästhetischer Leichtigkeit.
„Vielleicht ist die Kunst – dass wir am Anfang gar nicht so genau wussten, wie Graffiti geht. Wir haben einfach angefangen, unsere Gedanken zusammenfließen lassen – und der Inspiration Raum gegeben“, wie Christina Laube im Gespräch klarstellt. Eine spezifische Recherche zur Umgebung des eigenen Werkes ist für die beiden Künstler dabei unerlässlich. Dass ihr neues Werk „Silence“ die Stille just neben einer Verkehrsmeile wie der Kunststraße zur Geltung bringt, ist dabei ebenso wenig Zufall wie die Entscheidung, das Werk in einer lichten Höhe von rund 15 Metern anzubringen. „Wir waren uns natürlich im Klaren darüber, dass die Gebäudesituation große Teile unserer Wand verdeckt – genau deshalb arbeiten wir so, dass man selbst frontal viel erkennen, sich aber auch seinen ganz eigenen Platz suchen kann, um den eigenen Standpunkt zu wechseln“, wie Mehrdad Zaeri erklärt. Das eigene „Glück am Spiel“, wie Zaeri es nennt, dabei so zum Einsatz zu bringen, dass aus 32 Stunden Graffiti-Kunst ein kleines bisschen Weltverbesserung wird, berührt selbst den routinierten Illustrator immer wieder von Neuem: „Bis zum letzten Strich lebst du in dieser Wand – und willst etwas damit bewegen. Die Stille, die wir mit diesem neuen Werk zeigen, kommt so nie wieder – und genau deshalb sollten wir uns an ihren Wert erinnern.“
Stadt.Wand.Kunst
- Stadt.Wand.Kunst ist ein Streeart-Projekt der Alten Feuerwache in Kooperation mit der Wohnungsbaugesellschaft GBG, dem Kulturamt der Stadt Mannheim sowie dem Spray-Hersteller Montana Cans.
- Zielsetzung des 2013 gegründeten Projekts ist es, großformatige Graffiti-Kunst auf Hauswänden in der Stadtgesellschaft, aber auch international sichtbar zu machen.
- Insgesamt sind auf diese Weise insgesamt 32 Wandkunstwerke entstanden, davon 24 in Mannheim.
- Das jüngste Werk, das den Titel „Silence“ tragen wird, entsteht derzeit am Haus von Bücher Bender im Quadrat O4.
- Realisiert wird das sogenannte Mural vom Duo Sourati, das aus dem Illustrator Mehrdad Zaeri sowie der Autorin und Zeichnerin Christina Laube besteht.
- Weitere Informationen zum Projekt, den Standorten sowie den Künstlern gibt es auch im Internet unter www.stadt-wand-kunst.de
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