Frau Helfrich, Ihr neues Album „We’ll Rise“ hat Frauen und ihre Verdienste in Kultur, Wissenschaft und Politik zum Thema. Es knüpft an die von der Kritik gefeierte Vorgängerplatte „Dedications“ an, auf der Sie das Gedicht „Invictus“ für Nelson Mandela und die „I Have A Dream“-Rede“ von Martin Luther King vertonten. Wann haben Sie den Jazz als Medium für Politik- und Gesellschaftskritik entdeckt?
Anke Helfrich: Neben der Musik, habe ich mich immer schon für die Geschichte des Jazz interessiert, für die Entwicklung der Stile, sozialgeschichtliche Aspekte, gegenseitige Einflüsse von Musik und Gesellschaft, Rassismus, Diskriminierung, und für Biografien. Ich habe viel gelesen und recherchiert, aber diese Aspekte lange Zeit nicht offensichtlich in meiner Musik verwendet. Ich wollte immer Musik machen, die sich rein über das Instrument ausdrückt, keine Worte oder Gesang be-nötigt. Mich dann auf das Integrieren von Sprache einzulassen, wie etwa bei Martin Luther Kings Rede, war mir ein großes Anliegen und empfand ich als neue Herausforderung. Für meine aktuelle Platte habe ich erneut sehr viel recherchiert. Es gibt so viele inspirierende Frauen, deren Verdienste ich ins Licht stellen möchte.
Besteht nicht die Gefahr, dass die Musik hinter Ihrem Anliegen verschwinden könnte?
Helfrich: Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Ich denke, die Musik steht für sich. Die spannenden Biografien dieser Pionierinnen haben mich ja dazu inspiriert die Stücke zu komponieren und ich glaube, dass die Musik das gut reflektiert. Der britischen DNA-Forscherin Rosalind Franklin habe ich zum Beispiel die Komposition „Secret Of Photo 51“ gewidmet und überlegt, wie ich es musikalisch umsetze.
Könnten Sie das einmal konkretisieren?
Helfrich: Als Beispiel: Die erste melodische Phrase setzt immer wieder neu ein, erst erscheint sie unisono, dann wird sie gleichzeitig im Abstand einer Sekunde gespielt und im Anschluss immer weiter entwickelt und abgewandelt, so stelle ich mir unbedarft wissenschaftliche Versuche vor. Diese ineinander verwobenen Linien sowie Akkorde in Form von zwei übereinander liegenden Dreiklängen sollen klanglich die Doppel-Helix, die Struktur der DNA, darstellen. Für mich lag der Reiz darin, kompositorisch das umzusetzen, was ich in den Biografien dieser Frauen entdeckt habe.
Ein Glanzpunkt der Platte ist Ihre wunderbare Vertonung des Gedichts „We’ll Rise“ der Lyrikerin und Bürgerrechtsaktivistin Maya Angelou. Wie kam es dazu? Und wer rezitiert den Text so ein-drucksvoll?
Helfrich: Ich.
Nein! Das sind Sie? Das ist ja der Hammer.
Helfrich: Danke, das freut mich! Im CD-Booklet steht zwar Piano & Voice, aber vielleicht übersieht man das. Es ist ein Debüt, bisher habe ich noch nie bei einer Aufnahme gesungen oder gesprochen. Bei dieser Komposition habe ich das Gedicht mit der Musik verknüpft, dabei Ritardandi und Fermate eingebaut, um den Inhalt bestimmter Textstellen hervorzuheben. Und ich suchte nach etwas Gospelartigem, weil das immer auch für Hoffnung steht. Schließlich schreibt Maya Angelou, dass eines Tages die Dinge besser werden.
Gefeierte Pianistin
- Die Weinheimer Pianistin Anke Helfrich, geboren 1966, zählt zu den höchstdekorierten Kreativen des deutschen Jazz. Ihre Karriere begann 1996 mit dem Gewinn der European Jazz Competition. Unter anderem wurde sie mit dem Echo Jazz 2016 und dem Hessischen Jazzpreis 2017 geehrt.
- Sie spielte mit Stars wie Mark Turner, Roy Hargrove und Johnny Griffin.
- Am 24. November erschien ihr neues Album „We’ll Rise“ (Enja Records), das sie mit dem Bassisten Dietmar Fuhr und Jens Düppe (Schlagzeug) eingespielt hat. Gastsolist ist der Australier Adrian Mears (Posaune, Didgeridoo).
„Time Will Tell“ haben Sie für die Pianistin Geri Allen geschrieben. Hat sie Ihr Spiel beeinflusst?
Helfrich: Sie hat mich sowohl als Pianistin als auch als Vorbild inspiriert. Sie vereint in ihrem Spiel Tradition und Gegenwart, dabei hat sie ihren ganz eigenen Stil. Die Unabhängigkeit ihrer Hände, ihr rhythmisches Spiel, Stücke in ungeraden Taktarten, ihr melodischer Erfindungsreichtum und auch ihre Bühnenpräsenz - das hatte einen Einfluss auf mich. Es hat mich sehr gefreut, dass (die Schlagzeugerin, Anm.) Terri Lyne Carrington für dieses Stück einen Text beigetragen und einge-sprochen hat. Sie war ja fast 30 Jahre mit Geri Allen befreundet und musikalisch verbunden. Ihre sehr berührenden Worte habe ich dann in mein Intro integriert. Während des Klaviersolos erklingen dann auch O-Töne von Geri Allen selbst, aus einem Interview von 2016.
Wie ist es bei „La Oscura“ für Frida Kahlo? Das bewegt sich zwischen abgrundtiefen Bässen und perlenden Diskant-Läufen. Ist das ein Verweis auf die Farbpalette von Kahlos Bildern?
Helfrich: Ich habe mich von einem Text aus Kahlos Tagebuch inspirieren lassen, in dem sie über Farben und Emotionen schreibt. Daraufhin habe ich zu den von ihr verwendeten Farben die korrespondierenden Tonarten gesucht. Wir improvisieren frei über die Akkordfolgen und ich rezitiere den Text. Die Musiker bekamen zudem kleine Vorgaben: Bei Azurblau geht „die Sonne auf“, bei Blattgrün sensibel etc. Das eigentliche Stück „La Oscura“ beginnt in Bb-Moll, diese Tonart hat eine ganz eigene melancholische Stimmung. Für das Mystische in ihren Bildern habe ich sphärische und obskur klingende Intervallfolgen ausgewählt. Sie haben schon recht, dieses Stück schöpft die ganze Bandbreite der Register aus.
Wie hat sich Ihre Musik Ihrer Meinung nach im Lauf der Jahre weiterentwickelt? Wenn ich mir Ihre Version von „Sophisticated Lady“ anhöre, würde ich sagen, ihre Musik ist harmonisch sehr viel rei-cher geworden. Würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, Sie hätten diese Version so nicht vor 20 Jahren spielen können?
Helfrich: Ja, wahrscheinlich nicht. Ich hoffe natürlich, dass ich mich immer weiterentwickele und neue Facetten dazukommen. Bei dieser Ballade von Duke Ellington, übrigens die einzige Komposition des Albums, die nicht von mir stammt, habe ich für das Thema nach verschiedenen Klangfarben gesucht: Der erste Teil der Melodie ist mit einer gleichbleibenden Akkordstruktur reharmonisiert, dann habe ich unterschiedliche Register des Klaviers eingesetzt. Im Mittelteil spiele ich im Bass einen Pedalton, der am Ende des Parts in eine absteigende chromatische Linie mündet, kontrapunktisch zur gleichzeitig aufsteigenden Melodie. Dadurch entsteht eine schöne Spannung. Wenn man so darüber spricht, klingt das alles sehr analytisch. Mein Anliegen ist es jedoch, mit meiner Musik zu berühren und an diese außergewöhnlichen Frauen zu erinnern, deren Geschichten von Widerstandsfähigkeit, Entschlossenheit, Mut und Talent erzählen und uns stärken und Mut machen - gerade in dieser herausfordernden Zeit.
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