Jetztmusikfestival - Der DJ Raphaël Marionneau vertont "Nosferatu" im Mannheimer Atlantis-Kino

Die Symphonie des Grauens

Von 
Dan Eckert
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Ein paar dünne Nebelwolken erwarten das Publikum im Saal des Atlantis-Kinos und verbreiten altmodische Horrorfilmstimmung. Der Streifen, der an diesem Abend gezeigt wird, kommt weitgehend ohne solche Spielereien aus: Mit ausgedehnten Außenaufnahmen und seiner naturalistischen Darstellung gilt Friedrich Wilhelm Murnaus Vampirfilm "Nosferatu - eine Symphonie des Grauens" als innovativer Klassiker des Horror-Genres, der sich den Moden der Zeit entgegenstellte.

Heute präsentiert er sich im Rahmen des Jetztmusikfestivals in einem neuen Kontext. Der Franzose Raphaël Marionneau hat dem stummen Meisterwerk von 1922 einen modernen Soundtrack verpasst, den er neben der Leinwand live zusammenmischt. Als bekannter DJ hat er Erfahrung mit der Arbeit an Stummfilmen; seine Vertonungen wurden bereits auf dem Filmfest Hamburg oder dem Stummfilm Live Festival Berlin gezeigt.

Für "Nosferatu" hat er eine ganze Sammlung von Stücken zusammengestellt - das Spektrum reicht von den introvertierten Pianoklängen Ludovico Einaudis über die elektronischen Beats von Interpreten wie Booka Shade oder Solee bis hin zu orchestralen Filmmusiken von Komponisten wie James Newton Howard, Michael Kamen oder Clint Mansell. In der Tat wirken manche Szenen fast klassisch filmmusikartig.

So dürfen etwa, wenn Nosferatu sich aus seinem Sarg erhebt, um über die Besatzung eines Schiffes herzufallen, genregemäß die Streicher lärmen. Meist jedoch versucht Marionneau erst gar nicht, jede Bewegung auf der Leinwand musikalisch zu kommentieren. Aus einer gewissen Distanz unterstreicht er den Spannungsbogen, sucht zugrundeliegende Rhythmen, die die Handlung herzschlagartig vorantreiben. Die Schreckensfigur des Grafen Orlok begleitet dabei in ihren markantesten Szenen ein immer lauter werdendes Ticken. Diese rhythmische Einrahmung des Grauens scheint umso stimmiger, wenn man bedenkt, dass Murnau beim Dreh des Films tatsächlich ein Metronom verwendete, um das Tempo der Darsteller zu kontrollieren.

Trotz der extrem unterschiedlichen Klangtexturen der einzelnen Stücke gelingt es Marionneau, über seinen rhythmischen Ansatz eine absolut stimmige Einheit zu erzeugen, die dem Film mehr als gerecht wird. Gerade das Finale, der in der Morgensonne zu Asche vergehende Vampir, ist mit dem getragenen Staccato von Klaus Nomis Interpretation der Arie des "Cold Genius" aus der Purcell-Oper "King Arthur" grandios untermalt.

Am Ende ist man fast überrascht, den Franzosen neben der Leinwand zu sehen, den das Publikum während des Films schon nach wenigen Minuten komplett vergessen hatte - und das ist, auch wenn es nicht so klingen mag, ein gutes Zeichen.

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