Er gilt als politischer Regisseur und Wegbereiter des modernen Regietheaters. Doch warum nur bleibt der an Erwin Piscator geschulte Hansgünther Heyme, der in Stuttgart einst die Nachfolge von Claus Peymann antrat und an den Theatern in Mannheim und Heidelberg als Darsteller und Regisseur von sich reden machte, in seiner Inszenierung des „Götz von Berlichingen“ bei den Burgfestspielen Jagsthausen politisch so unbestimmt, ja geradezu rätselhaft? Möglichkeiten bietet Goethes Sturm-und-Drang-Stück genug, um Parallelen zum Heute auszuspielen und die Ohnmacht des Volkes gegenüber der Obrigkeit aufzuzeigen. Heyme, der auch für die Ausstattung verantwortlich zeichnet, scheint daran mäßig interessiert zu sein.
In den Burghof hat er eine für die 16 Darsteller in aller Enge zu bespielende Bretterbühne montieren lassen, die mit einem Lamellenvorhang zwar für überraschende Auftritte sorgen kann, aber in zweieinviertel Stunden Auf und Ab zunehmend auf die Nerven geht. Hier wechseln die zahlreichen Schauplätze des Bauernkriegs von 1525 im Minutentakt, und es fällt schwer, den Überblick zu behalten zwischen Götzenburg, Bamberg, Augsburg und Schlachtfeld. Ohne musikalische Untermalung, mit handgemachten Kampfgeräuschen und frontaler Ansprache ans Publikum lässt Heyme hier im Brecht’schen Sinne keine Scheinrealitäten aufkommen.
Volk fungiert als Schiedsrichter
Das Vorführen der Darsteller auf dem als Wanderbühne entlarvten Schauplatz erscheint insofern konsequent: Wie durch ihre gesellschaftlichen Positionen bestimmte Marionetten agieren sie im Zentrum des Volkes. Das verfolgt, in düsteres Schwarz gekleidet, als Schiedsrichter von den Emporen herunter die Handlung, die Heyme wiederum mit parodistischen Elementen entweiht. Allen Zwiespältigkeiten zum Trotz überzeugt Tim Grobe im aussichtslosen Kampf von Freiheit und Rechtschaffenheit gegen Intrige und Fürstenmacht als kulturvierter, aber auch aufbrausender Götz. In Franz-Joseph Dieken (Weislingen) hat er einen ebenbürtigen Gegenspieler, der seine Labilität nicht offen zur Schau stellt und sie damit umso wirkungsvoller macht. Valerija Laubach ist als Adelheid mehr bürgerliche Verruchtheit als adlige Verführung. Viel Wert legt Heyme auf die Macht der Sprache. Umso bedauerlicher, dass mancher Halbsatz untergeht. Mit einer das Innerste nach außen kehrenden Gewandung des intriganten Klerus’, ganzer oder teilweiser Verschleierung, Zitaten von Kriegsausstattung zwischen Utopie und historischem Anklang und im Chor skandierten Worten der Revolution von Thomas Müntzer setzt Heyme auf eine depressive Stimmung.
Anspielungen bleiben zu ungenau
Götzens berühmter Ausspruch „Die Nichtswürdigen werden regieren mit List und die Edlen in ihre Netze fallen“ gerät als düstere Prophezeiung für den Fortgang des Stücks. Doch bleiben Anspielungen auf Deutschtümelei, Christentum und andere Religionen zu ungenau, um darin klare Hinweise zu erkennen. Mit dem Tod Georgs (Mats Kampen als akkurat gescheitelter blonder Jüngling) als Hoffnungsträger geht auch der letzte Glaube an Freiheit und eine bessere Zukunft verloren.
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