Gebildet war sie und kulturell vielseitig interessiert. Bei ihr traf sich die Mannheimer Society der vorletzten Jahrhundertwende. Sie war das "It-Girl" der damaligen Zeit: schön, glamourös, gefragt. Auf seidenen Teppichen empfing sie Größen wie den Maler Franz von Lenbach - auf den ungehobelten Brettern eines Deportationszuges fand sie zwischen Elend und Dreck den Tod.
Wären die Umstände ihres Lebensendes andere gewesen, wäre Helene Hecht vermutlich niemals derart in Vergessenheit geraten. Die Wenigsten werden ihre Villa in L 10, 1 und die dortige Gedenktafel kennen: "Helene Hecht, geborene Bamberger, 1854-1940. Johannes Brahms wohnte bei seinen Besuchen in Mannheim in diesem Haus." Heute befindet sich in dem Gebäude das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, damals wohnte hier die Bankiersfrau mit ihrem Mann und den zwei Söhnen. Neben dem Haushalt führte sie einen kulturellen Salon in der vornehmen Villa mit den zwölf Zimmern.
Um ihrer zu gedenken, vergibt die Stadt Mannheim seit 2009 im Zwei-Jahres-Rhythmus den Helene-Hecht-Preis an Künstlerinnen der Metropolregion. Die Auszeichnung ging Anfang des vergangenen Jahres an die Künstlerin Barbara Hindahl.
Die Namensgeberin des Preises wurde im Sommer 1854 - der Kaiser von Österreich hatte gerade Sissi, die Herzogin von Bayern, geehelicht - in Mainz geboren. Nicht nur, dass sie wie die junge Kaiserin braune, lange Haare haben würde. Wie sie sollte sie über ihr eigenes, wenn auch kleineres Reich verfügen: Gemeinsam mit Felix Hecht pflegte sie den Kontakt zu vielen bedeutenden Künstlern, die sie immer wieder nach Mannheim einlud, wie etwa den Komponisten Johannes Brahms. Mit ihm unterhielt Hecht eine enge Brieffreundschaft: Der Musiker sprach sie mit "Liebe geehrte Frau" an und ließ die Post an sie mit "Ihr herzlichst ergebener Brahms" enden. Mit der Anrede "Sehr verehrter Herr Doktor" revanchierte sie sich für seine Briefe.
Die Freundschaft zu Brahms hatte Helene Hechts Gatte mit in die Ehe gebracht, denn der habilitierte Jurist und Direktor der neu gegründeten Rheinischen Hypothekenbank Mannheim interessierte sich nicht nur für Geld, sondern - wie seine Frau - für Kunst und Kultur. Deren musisches Interesse war bereits in frühen Jahren geweckt worden: Als Kind einer wohlhabenden Familie mit jüdischem Hintergrund lernte sie an einer Schule für höhere Töchter Französisch, Italienisch, Musik, Klavier und nicht zuletzt Konversation - eine optimale Vorbereitung, um einen kulturellen Salon zu führen, den die Hecht-Biografin Barbara Becker als "Mittelpunkt eines bedeutenden geistigen und musikalischen Zirkels" bezeichnet.
Mit diesem fungierte Helene Hecht als kulturelle Botschafterin Mannheims: Sie pflegte einen regen Briefverkehr mit dem Violinisten Joseph Joachim und der Wagner-Gattin Cosima; alle Musikgrößen Mannheims, der Geiger Arnold Rosé und der Maler Franz von Lenbach kamen zu Besuch in die Villa. Letzterer malte die Hausherrin sogar. Doch auch außerhalb des Hauses betätigte sich das Ehepaar Hecht, beteiligte sich im Jahre 1899 an der Gründung der Hochschule für Musik, dem Vorläufer der heutigen Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst.
"Sie war eine herzliche, gefühlvolle Frau", beschreibt die heute in Amerika lebende Enkelin Charlotte Hecht die Großmutter und erinnert sich an ihre Lebensfreude. Die habe sie sich bis zum Schluss bewahrt, sagt sie - obwohl die letzten 30 Jahre der Helene Hecht weitaus weniger glanzvoll waren, als ihr Leben davor: Ab 1909 sorgten der Tod des Ehemannes, der Erste Weltkrieg und die Inflation für Sorgen und Kummer. Es ist überliefert, dass Helene Hecht in dieser Zeit einige ihrer Zimmer vermietete, um finanziell überleben zu können.
Doch es sollte noch schlimmer kommen: Die Nationalsozialisten kamen an die Macht, die Verdienste der Mäzenin schienen vergessen. 1940 musste Helene Hecht ihre Villa verlassen und sich auf den Platz des schräg gegenüberliegenden Schlosses begeben. Hier versammelten die Machthaber die Juden der Stadt für deren Abtransport nach Gurs, Südfrankreich. Mit 86 Jahren - es war im Oktober - starb Helene Hecht auf dem Weg in die Hölle der Braunen. Ein Grab war ihr nicht vergönnt. Doch die "Villa Helene" steht noch heute in L 10, 1 an der Ecke zur Bismarckstraße und erinnert an die einstige Persönlichkeit.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-die-geehrte-frau-laedt-ein-_arid,21734.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html