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Die andere Hälfte der Bühne: Gedanken zum Weltfrauentag

Musikerinnen haben sich inzwischen in der Weltspitze etabliert, Handlungsbedarf gibt es trotzdem. Eine Würdigung der Frauen im Jazz.

Von 
Georg Spindler
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Esperanza Spalding beim Festival Enjoy Jazz im Oktober 2010 in der Alten Feuerwache. © Manfred Rinderspacher

Mannheim. Ich erinnere mich noch genau an die erste Jazz-Pianistin, die ich 1976 im Fernsehen sah. Eine unscheinbare Frau machte dem Starsaxofonisten Stan Getz mit Tastendonner gewaltig Feuer unterm Allerwertesten: Joanne Brackeen. Ich staunte nicht schlecht, Instrumentalistinnen waren damals rar im Jazz. Obwohl es einige wichtige gab, wie Mary Lou Williams oder Melba Liston.

Eine andere Entdeckung war die Free-Jazz-Pionierin Irène Schweizer. „Die musst du anhören“, empfahl mir mein Bruder Matthias. „Die spielt ja Klavier wie ein Mann“, dachte ich, und reproduzierte als junger Kerl uralte Rollenklischees. Als Mitveranstalter eines Konzertes in Speyer lernte ich 1982 Jane Ira Bloom kennen. Eine grandiose Saxofonistin, die sich den visuellen Marktmechanismen verweigerte – und bis heute hierzulande kaum bekannt ist.

Zwei Musikerinnen, wie sie gegensätzlicher nicht sein konnten, traten in den 80ern jährlich im Mannheimer Capitol auf. Carla Bley spielte ironisch mit ihrem Image, spielte mitunter die Dompteuse, ihre Musik aber klang kühn und anspruchsvoll. Die Eingängigkeit ihrer Fusion-Musik machte dagegen Barbara Thompson populär.

Prägend wurde 1986 ein Interview mit Wayne Shorter. Der Saxofonist hatte zwei Frauen in seiner Band: Marilyn Mazur und Terri Lynne Carrington an Percussion und Schlagzeug, die eine, wie Shorter sagte, elfenhaft, die andere energiegeladen. Ein Rhythmusteam, das mich nachhaltig beeindruckte. Wichtig wurden dann Kontakte zu regionalen Musikerinnen wie der Weinheimer Pianistin Anke Helfrich oder der Mannheimer Saxofonistin Alexandra Lehmler, die beide einen neuen Typus von emanzipierten Jazz-Frauen verkörperten. Nach dem Millennium drängte plötzlich eine Vielzahl exzellenter junger Instrumentalistinnen ins Rampenlicht.

59 Prozent haben laut einer Studie Benachteiligung erfahren

Heute haben sich Frauen auf allen Instrumenten in der Weltspitze etabliert: unter anderem Mary Halvorson (Gitarre), Ingrid Jensen (Trompete), Nicole Mitchell (Flöte), Esperanza Spalding (Bass). Quotierungen, von mir zunächst argwöhnisch beäugt, haben etwas bewirkt. Seitdem das US-Magazin „Downbeat“ verstärkt Musikerinnen vorstellt und das Enjoy-Jazz-Festival auf Geschlechterparität Wert legt, gibt es eine Fülle von Entdeckungen zu machen.

Durch Enjoy Jazz habe ich die niederländische Saxofonistin Tineke Postma und ihre spannungsvoll dramatische Musik kennengelernt. Mein Bruder kaufte mir kurz vor seinem Tod 2021 bei einem Enjoy-Jazz-Konzert eine CD der britischen Band Dinosaur als Geschenk. „Die Trompeterin ist gut“, sagte er, seither bin ich Fan von Laura Jurd.

2024 fiel mir bei einem Konzert David Murrays die Pianistin Marta Sanchez auf, ihre Solo-Projekte sind sensationell. Via Instagram schloss ich einige Kontakte, etwa zu der fabelhaften US-Drummerin Allison Miller oder der Berliner Free-Saxofonistin Camila Nebbia.

Frauen haben sich also die Hälfte der Jazzbühne erobert. Aber noch gibt es Handlungsbedarf: Ihr Anteil liegt im Jazz weltweit unter 30 Prozent. Noch geringer ist die Quote von Hochschuldozentinnen. Eine Studie der Deutschen Jazzunion ergab 2023, dass 59 Prozent geschlechterspezifische Benachteiligung erfahren haben. Bei Männern waren es 7,6 Prozent.

Redaktion

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