Literatur - 2016 wurde auf der Buchmesse ein Brief Asli Erdogans aus der türkischen Haft verlesen / Jetzt erscheint ein Werk der in Frankfurt lebenden Autorin zum Thema

Der Kampf mit den Gespenstern im deutschen Exil

Von 
Thomas Maier
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Autorin mit bewegter Geschichte: die Türkin Asli Erdogan. © dpa

An ihrem deutschen Exilort fühlt sie sich trotz des schönen Frühlingswetters immer noch fremd. Rund 2000 Kilometer entfernt sind an ihrem Heimatort Istanbul die politischen Verhältnisse weiterhin trist. Dennoch schöpft Asli Erdogan nach den Kommunalwahlen, bei denen die Opposition auch in der türkischen Metropole gewann, Hoffnung. Aber auch nur ein bisschen, wie sie meint.

„Ich muss mit zwei Traumata kämpfen: Dem Aufenthalt im Gefängnis und dem Leben im Exil“, sagt die 52-Jährige im Gespräch. Nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei war die Autorin, deren Romane und Essays sich dort gut verkauft haben, im Juli 2016 verhaftet worden. Zum Verhängnis wurde ihr die Kolumne in einer kurdisch-türkischen Zeitung. 132 Tage saß sie im Frauengefängnis Bakirköy, bevor sie unter dem internationalen Druck freikam. Seit September 2017 lebt sie dank eines Stipendiums in Frankfurt.

Vor kurzem hat sie in Frankfurt ihr neues Buch vorgestellt – am selben Tag erfuhr sie auch, dass ihre Bücher aus der Universitätsbibliothek in Ankara verbannt wurden. In „Haus aus Stein“ versucht Erdogan, der Erfahrung von Folter im Gefängnis in ungewöhnlicher Form mit einer sehr poetischen Sprache nahezukommen.

Zerbrechliche Frau

Im Buch geht es nicht um den eigenen Schmerz im Gefängnis – diese Erfahrungen hat sie vor einem Jahrzehnt fast hellsichtig vorweggenommen. Denn der Roman ist in der Türkei bereits 2009 erschienen. Mit dem „Haus aus Stein“ ist das berüchtigte Istanbuler Folterzentrum Sansaryan Han gemeint, wo sie Anfang der 1980er Jahre Gefangene besucht hat.

„Es ist ganz natürlich, dass mir eines Tages selbst zustoßen sollte, was ich erzählte und schrieb“, schreibt sie im Vorwort. Die Enge der Gemeinschaftszellen und die allgegenwärtige Kälte verfolgen sie bis heute. Erdogan ist eine zurückhaltende und zerbrechlich wirkende Frau, die seit langem Gesundheitsprobleme hat.

Als Freigeist hat sie für jede Art von Gewalt – speziell auch gegenüber Frauen – ein besonderes Sensorium entwickelt. Die Tochter eines Tscherkessen und einer konvertierten Jüdin ist Physikerin. Schon in jungen Jahren hat sie am Kernforschungszentrum CERN in Genf gearbeitet. Dort schrieb sie den ersten Roman „Der wundersame Mandarin“. Mit 24. „Ich habe nachts durchgearbeitet“, sagt sie. Eine Kraft und Energie, die sie heute nicht mehr hat. Es sind vor alllem die deprimierenden Nachrichten aus der Türkei, die sie melancholisch stimmen.

Rund 500 000 Menschen sind in der Türkei nach offiziellen Angaben seit dem Putsch festgenommen worden. Der türkische Innenminister bezifferte Anfang März die noch Inhaftierten auf rund 30 000 – Erdogan geht von einem Vielfachen aus. Sie nimmt auch ihr derzeitiges Gastland in die Pflicht. Wenn Deutschland seine wirtschaftliche Macht ausspielte, könnte sich in der Türkei schnell was ändern, glaubt sie. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat sich für Erdogan wie für keinen anderen türkischen Autor eingesetzt. Ein erschütternder Brief Erdogans, der aus dem Gefängnis geschmuggelt wurde, sorgte 2016 für Furore bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse.

In Istanbul läuft derweil ihr Prozess wegen „terroristischer Propaganda“ weiter. Der Staatsanwalt hat zum Auftakt lebenslange Haft gefordert. Asli Erdogan ahnt, dass ihr Exil noch länger andauern kann. Im September läuft das von der Stadt Frankfurt finanzierte Stipendium aus, dann wird sie weiterziehen. Der 52-Jährigen liegt ein Angebot aus New York vor. Auch Frankreich, wo ihre Bücher populärer sind als in Deutschland, ist für sie eine Option.

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