Kunst - Das Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrum zeigt in Kooperation mit dem Hack-Museum Werke von HAP Grieshaber

Der Engel der Geschichte

Von 
Johann Schulz-Sobez
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Neben Werken von HAP Grieshaber ist auch dieser Engel zu sehen.

© Bloch

"Es gibt ein Bild von Paul Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen, und seine Flügel sind aufgespannt." So beginnt eine der glänzendsten philosophischen Passagen des vergangenen Jahrhunderts. Es ist die IX. These aus Walter Benjamins (1892-1940) Schrift "Über den Begriff der Geschichte", die er kurz vor seinem Tod verfasste.

Der metaphorisch dichte Text lieferte die Denkfigur des "Engels der Geschichte" und wurde Ausgangspunkt vieler philosophischer und künstlerischer Arbeiten.

Walter Benjamin hatte die kleine aquarellierte Ölfarbzeichnung Paul Klees 1921 erstanden, und sie sollte ihn lange begleiten, bis ins Exil nach Paris. Als er schließlich 1939 für drei Monate inhaftiert wurde und kurze Zeit darauf untertauchte, hatte sich sein Blick auf den Engel verändert. Der "Neue Engel" ist für Benjamin zum "Engel der Geschichte" geworden, der mit aufgerissenen Augen vor einem in den Himmel wachsenden Trümmerhaufen steht.

In Ludwigshafen kann man ausgehend von dieser Denkfigur aktuell den verschiedenen Strängen nachspüren, die sich um Benjamin und die Zeichnung Paul Klees spinnen. Anlässlich seines 20. Geburtstages erzählt das Ernst-Bloch-Zentrum in Kooperation mit dem Wilhelm-Hack-Museum von dieser Geschichte. Im Zentrum der Ausstellung stehen vor allem die Arbeiten HAP Grieshabers (1909-1981), der vom Kurator der Ausstellung Josef Walch zu einem der bedeutendsten politischen Künstler des 20. Jahrhunderts stilisiert wird. Und seine 25 Mappen, in denen er immer wieder auf Benjamin Bezug nimmt, haben es wirklich in sich.

Gesellschaftspolitischer Dialog

Begleitet von Texten und Bildern Heinrich Bölls, Horst Antes', Walter Stöhrers und vielen anderen verdichtet er die politischen Sümpfe seiner Zeit, um einen interdisziplinären und gesellschaftspolitischen Dialog anzustoßen, der in einer persönlichen Hommage an Ernst Blochs 85. Geburtstag gipfelt.

Klees Engel wirkt dabei wie eine heilige Instanz dieses geistesgeschichtlichen Horizonts, die aufgrund ihrer fragilen Gestalt nie wieder das Israel-Museum in Jerusalem verlassen darf, wohin der Religionshistoriker Gershom Scholem die Zeichnung brachte, nachdem sie Benjamin dem Freund vermacht hatte.

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