Die Ideen des März sind in die Geschichte eingegangen. Am 15. März im Jahr 44 v. Chr. fällt Gaius Julius Caesar einem Attentat zum Opfer. 23 Dolchstiche treffen den römischen Diktator. Cicero, politisch ein Gegner Caesars, aber an der Verschwörung selbst nicht beteiligt, ist vor Freude außer sich. Die Frage, ob ein Tyrannenmord legitim ist, steht seit dem Tod Osama bin Ladens wieder auf der Tagesordnung. Wobei hier zunächst außer Acht bleibt, ob ein Terrorist mit einem Tyrannen gleichgesetzt werden darf. Zugleich mehren sich in den USA die Stimmen, welche die gezielte Tötung Gaddafis fordern. Für Cicero und die meisten antiken Philosophen wäre die Sache wohl entschieden. Sie befürworten den Tyrannenmord, sofern er nicht dem eigenen Vorteil, sondern dem Wohl der Allgemeinheit dient.
Verschwörer fliehen aus Rom
Doch nicht alle sind ihrer Meinung. Bei Caesars Bestattungsfeier kommt es zu Tumulten. Der aufgebrachte Mob versucht, die Häuser der Mörder zu stürmen, um sie zu lynchen. Marcus Iunius Brutus und Gaius Cassius Longinus, die Anführer der Verschwörung, werden nicht als Retter der Republik gefeiert, sondern müssen aus Rom fliehen.
Die Figur des Brutus hat viele Schriftsteller inspiriert. Abhängig von der jeweiligen Einstellung des Autors wird er als mutiger Tyrannenmörder, der die Pflicht über seine persönlichen Gefühle stellt, gefeiert - oder als niederträchtiger Verräter im Stil eines Judas verdammt.
Kant und Hobbes lehnen den Tyrannenmord strikt ab. Locke und Rousseau zählen zu den Befürwortern. Die neuzeitliche Philosophie geht der Frage vor allem im Zusammenhang mit dem Widerstandsrecht nach. Auch die Kirche und christliche Philosophen beschäftigten sich immer wieder mit dem Thema. Augustinus vertritt eine ablehnende Haltung und betont, dass selbst Tyrannen wie Nero und Domitian kraft göttlicher Vorsehung ihre Herrschaft ausübten. Auch Paulus fordert, sich der Obrigkeit unterzuordnen. Es gibt für ihn keine Gewalt, die nicht von Gott ist. Widerstand ist nur passiv erlaubt. Allein Gott gebührt die Rache.
Das Alte Testament rühmt hingegen Judit, die mit Erlaubnis der Ältesten und unter Einsatz ihres Lebens den Tyrannen Holofernes ermordet. Die frühe Kirche verehrt heilige Tyrannenmörder wie Merkurius, der der Legende nach den Tyrannen Julian erschlagen haben soll. Martin Luther plädiert entschieden für ein Recht auf Widerstand. In den "Tischgesprächen" heißt es: "Wenn die Bürger und Untertanen die Gewalt eines Tyrannen nicht dulden noch leiden könnten (...), so möchten sie ihn umbringen wie einen anderen Mörder oder Straßenräuber."
Der Tod eines Einzelnen kann im Ausnahmefall Schlimmeres verhindern und das Schicksal unzähliger Menschen und ganzer Völker positiv verändern. Das war auch das entscheidende Motiv für die Hitler-Attentäter vom 20. Juli. Sie scheiterten mit ihrem Anschlagversuch, dessen Legitimität heute nicht mehr infrage gestellt wird. Hitlers Gewaltherrschaft war eine Ausnahmesituation. Aber folgt allein daraus eine moralische Pflicht zur Tat? Dietrich Bonhoeffer brachte den Zwiespalt auf den Punkt. Auch der Tyrannenmord bleibe ein Mord und damit Schuld vor Gott. Aber auch der mache sich schuldig, der dem Treiben des Tyrannen nichts entgegensetze und der sich nicht für das Leben der Opfer einsetze. Es gibt Situationen, so Bonhoeffer, in denen wir nur zwischen Schuld und Schuld wählen und auf einen gnädigen Gott hoffen können.
Darf sich ein Staat einmischen?
Ein Gesichtspunkt blieb in der aktuellen Diskussion weitgehend unberücksichtigt. Die historischen Beispiele für Tyrannenmorde gingen immer vom eigenen Volk aus. Steht es einem Staat aber überhaupt zu, sich so weit in die Belange eines anderen einzumischen? Der moderne Rechtsstaat hat andere Alternativen: So wurde Saddam Hussein von amerikanischen Soldaten lebend gefangen genommen und der Justiz seines Heimatlandes überstellt, die ihn zum Tode verurteilte. Das Völkerrecht jedenfalls kennt keinen Tyrannenmord.
Wilhelm Tell bringt den tyrannischen Landvogt Gessler um und wird heute in der Schweiz wie ein Nationalheiliger verehrt. Friedrich Schiller, der ihm ein literarisches Denkmal setzte, erzählt in der "Bürgschaft" von einem versuchten Anschlag auf Dionysos. Einmal mehr ist der Tyrannen-Mörder der Gute, auch wenn er mit seinem Attentat keinen Erfolg hat. Immerhin gelingt es ihm, den Tyrannen zum Umdenken zu bringen.
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