Ungewöhnlich: Das schleifende Schnarren einer Maschine dringt an das Ohr des Betrachters, noch bevor dieser den abgedunkelten Ausstellungsraum in der Heidelberger Sammlung Prinzhorn betreten hat. Zwei große Film-Projektoren, wie sie früher in jedem Kino-Vorführraum benutzt wurden, zeigen jeweils vor hellem Hintergrund eine sich drehende plastische Figur, davon eine aus Metall und eine aus Holz.
Mit dem klassischen analogen 35-Millimeter-Film aus sehr geringer Entfernung aufgenommen, stehen zwei Figuren auf sich drehenden Sockeln und rotieren gegenläufig aufeinander zu. Links ist die Aktfigur "Prometheus" von Arno Breker von 1934 zu sehen, auf der rechten Bildfläche rotiert die Skulptur "Weib und Mann oder Adam und Eva" von Karl Genzel (Pseudonym Brendel), die wohl vor 1920 in der psychiatrischen Anstalt Eickelborn entstand.
Der venezolanische Künstler Javier Téllez nimmt mit dieser Installation das besondere Aussehen der NS-Kunst ebenso kritisch in den Blick wie die Verfolgung und Diffamierung moderner Kunst durch die Nazis, indem er durch die Auswahl von Breker und Genzel förmlich zwei Welten aufeinandertreffen lässt. Die Formensprache beider Künstler könnte unterschiedlicher nicht sein: Links die glatte, stilisierte Figur, rechts die relativ grobe, fast expressiv geformte Gestalt Brendels, deren zweite Seite mit der Darstellung des weiblichen Körpers in der Projektion jedoch nicht auftaucht. Auf der Leinwand erscheinen die beiden Figuren annähernd gleich groß, doch ist die zwitterhafte Figur Genzels mit etwa 30 Zentimetern Höhe bedeutend kleiner als der überlebensgroße Prometheus. Wechselnd werden einzelne Körperpartien in Ausschnitten gezeigt, aber durch die immer wieder erscheinende Gesamtansicht wird ein gewisser Rhythmus in der Rotationsabfolge erkennbar.
Téllez sieht in der Figur des Prometheus eine körperliche Normung: Der Titan der Antike ist ihm der Schöpfer einer neuen Weltordnung, in der das Recht des Stärkeren gilt und somit den Intentionen der Nationalsozialisten nahe ist. Bei Genzels Figur dagegen sind Ursprünglichkeit und Vitalität erkennbar, manche Ausformungen erinnern entfernt an expressionistische Kunst. Die nationalsozialistischen Kunstverfolger sahen bei Genzel vor allem seine Geisteskrankheit und seinen nichtkünstlerischen Hintergrund. Seine Arbeiten sollten 1937 in der Ausstellung "Entartete Kunst" zeigen, dass "Verrückte" wie Genzel noch verständlichere Werke hervor brachten als die Künstler der Moderne, die etwa den Künstlergruppen "Brücke", dem "Blauen Reiter" oder dem Bauhaus angehörten.
Javier Téllez, der Teilnehmer an der letzten Weltkunstausstellung documenta war, hat in die Ausstellung auch diejenigen Werke der Sammlung Prinzhorn aufgenommen, die von den Veranstaltern der Schau "Entartete Kunst" entliehen worden waren, um die moderne deutsche Kunst zu diffamieren. Neben diesem Einblick in die Ästhetik der NS-Strategen bietet die Ausstellung durch die indirekte Präsentation eines Breker-Werkes in einem Film den Anlass, darüber nachzudenken, wie wir heute mit Kunst aus der NS-Zeit umgehen können.
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