Basel und die Kunst? Ein beneidenswertes Verhältnis. Seit jeher. Ein Beispiel gefällig? Als die Sammlung Rudolf Staechelin 1966/67 zwei Gemälde von Pablo Picasso verkaufen musste - nicht irgendwelche, sondern zwei zentrale Werke, "Die zwei Brüder"(1906) aus der Rosa Periode und das monumentale Porträt "Sitzender Harlekin" (1923) - bildete sich eine Bürgerinitiative, um die Bilder für das Kunstmuseum zu sichern. Die Bevölkerung bewilligte an der Urne einen Staatskredit von sechs Millionen Franken und sammelte in einer beispiellosen Aktion weitere 2,4 Millionen auf der Straße...
"Prächtige" Liebesbekundung
Die Gemälde blieben. Doch damit nicht genug der Kunst. Als Picasso, der zu der Zeit wegen seines als "flüchtig" geziehenen Alterswerks umstritten war, von der "demokratischen" Liebesbekundung erfuhr, fand er das so "prächtig", dass er der Stadt drei Gemälde und eine Zeichnung zu der epochemachenden Bordellszene "Les Demoiselles d'Avignon" (1907) schenkte.
Das Basler Kunstwunder wirkt noch 37 Jahre später nach. Damals wurde die Ankunft der Bilder mit dem Spruchband "Die Picassos sind da" über dem Portal des Museums beworben. Jetzt titeln die Kuratorinnen Anita Haldemann und Nina Zimmer ihre aktuelle Ausstellung damit. Wobei sie nicht nur die Picassos des Kunstmuseums zeigen und die Geschichte von 1967 - mit Dokumentarfilm und historischen Dokumenten - erzählen. Lange davor gab es in der Stadt Sympathisanten des Kunstgenies, neben Staechelin waren das der Spediteur Karl im Obersteg, die Unternehmerin Maja Sacher, der Galerist Ernst Beyeler, dessen Stiftung im nahen Riehen ein Museum betreibt, oder Raoul La Roche, der seine Picassos in Paris erwarb. Auch aus diesen Kollektionen bedienten sich Haldemann/Zimmer. Dazu gesellen sich weitere Werke aus Basler Wohnstuben, die bis dato der Öffentlichkeit verborgen waren. Auf diese Weise kamen 160 Gemälde, Zeichnungen, Drucke und Skulpturen zusammen, die die intensive Beziehung des Spaniers zu Basler Sammlern dokumentieren.
Aufgrund der Sammlungsdichte sind Arbeiten aus allen Schaffensperioden vorhanden, so dass die Kuratorinnen in 15 Sälen Picassos Entwicklung vom Frühwerk um 1900 bis zum Spätwerk der 70er chronologisch nachzeichnen können. Die elegische 1967er-Erwerbung "Die beiden Brüder" steht am Anfang. Das Gemälde ist ein erster Höhepunkt der Schau. Kaum weniger Eindruck macht ein weiteres Frühwerk aus der Blauen Periode, die "Absinth-Trinkerin" (1901). Das Besondere: Die Rückseite ziert ein zweites Motiv, die "Frau in der Loge", eine Figur aus dem Pariser Nachtleben, die mit heftigen Pinselstrichen gemalt ist. Am Beispiel eines Bildes zeigt sich der Stilwechsel, der für das Werk Picassos so typisch ist.
Auf Räume mit großformatigen Gemälden folgen andere mit kleineren Arbeiten auf Papier, Zeichnungen und Grafiken (sie allein füllen vier Säle), bisweilen ergänzt um Skulpturen. Picasso hat mehr als 2000 Druckgrafiken geschaffen. Die Schau zeigt seine erste Radierung, das sozialkritische "Karge Mahl" (1904). Auch Blätter aus der "Suite Vollard" (1930 bis 1937) sind Teil der Schau. Der Kunsthändler Ambroise Vollard zeigte 1901 in seiner Pariser Galerie erstmals Picasso-Werke. Er wurde in der Folgezeit sein Förderer, wobei er Bilder der Blauen und Rosa Periode favorisierte. Den kubistischen Arbeiten - ein Schwerpunkt in Basel - stand er eher kritisch gegenüber. Bei ihnen wurde die Zentralperspektive zugunsten einer multiplen Perspektive aufgegeben, ein Stil, den Picasso mit Georges Braque entwickelte und aus dem die Schau sowohl Beispiele des "analytischen" als auch des "synthetischen" Kubismus zeigt.
Mit dem Surrealismus lebte Picasso aber auf Kriegsfuß, er blieb in seiner Kunst der Darstellung des Realen verhaftet. So auch in dem Gemälde "Frau im Lehnstuhl" (1927), bei dem er sich auf die formelhafte Abkürzung der Körperteile konzentriert. Noch in den Frauendarstellungen der 40er Jahre sind groteske Deformationen ein Thema. Die Kuratorinnen bieten hier das Gemälde "Frau mit Hut" (1939), ein kryptisches Porträt von Dora Maar. Die Schau endet mit späten Skulpturen und ungestümen Gemälden. Am Tag waren zuletzt gleich mehrere Bilder entstanden, oft nach Werken von Vorbildern wie Delacroix oder Chardin. Picasso - ein "Neuer Wilder". Wahr ist aber auch, dass er damals gegen den Tod anmalte. Sein Werk lebt, Basel hat's - und zeigt's.
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