Festivalreview

Dank Kraan und Co. - Das Finkenbach-Feeling ist zurück

Ausgelassene Stimmung bei der 38. Auflage des Woodstocks im Odenwald mit alten Haudegen wie Epitaph, Space Debris, Hattler & Co. und starken Newcomern

Von 
Thomas Wilken
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Dauerbrenner nicht nur in Finkenbach: Kraan mit (von links) den Brüdern Peter Wolbrandt (Gitarre, Gesang) und Jan Friede (Schlagzeug) sowie Bass-Ikone Hellmut Hattler. © Thomas Wilken

Oberzent. Es ist Samstagabend, Primetime um 21 Uhr: Die Bühne ist bereit für Kraan. Auf die Legenden des Finkenbach-Festivals haben sie alle gewartet. Die Band ist eine Institution mit ihrem Jazzrock - und enttäuscht nie. Frontmann Hellmut Hattler wird fast emotional, als er seine Freude in Worten zu fassen versucht, nach der langen Pause wieder hier spielen zu können, wo er schon seit den Anfängen dazugehört.

Das zusammen mit seinen beiden Mitstreitern Jan Fride und Ex-Guru-Guru-Mitstreiter Peter Wolbrandt, alle drei Sandkastenfreunde. Mit Stolz weist Hattler darauf hin, dass die drei seit mehr als 50 Jahren in der Originalbesetzung unterwegs sind (wenn auch manchmal Raum für musikalische Gäste wie Popakademie-Kreativdirektor Udo Dahmen am Schlagzeug oder Trompeter Joo Kraus war) - „und wir leben immer noch“. Es gibt die alten, sehnsüchtig erwarteten Klassiker zu hören, aber auch neue Stücke aus der während der Pandemie entstandenen CD „Sandglass“.

Blindes Verständnis

Improvisiert wird bis zum Geht-nicht-mehr. Die drei verstehen sich blind, kein Wunder bei der langen gemeinsamen Bandhistorie. Lange Bassläufe abwechselnd mit Gitarrensoli lassen kein Lied auf Standardlänge. Martin Kasper (Keyboards) macht es als Gast möglich, auch Songs auf die Bühne zu bringen, die es sonst nicht zu hören gibt.

Aus Griechenland direkt nach Finkenbach: Die Villagers Of Ioannina City (VIC) rocken spätabends die Hütte - und wie. Mit traditionellen Instrumenten wie Klarinette, Flöte und Dudelsack, schwerer, psychedelischer Gitarre und dem charismatischen Frontmann Alex versetzt die Band die Menge in Ekstase. Die Organisatoren haben die Band für diesen einen Auftritt extra aus ihrer Heimat einfliegen lassen.

Die Kosten und Mühen haben sich gelohnt. Die fünfköpfige Gruppe zeigt durch enorme Bühnenpräsenz und Spiellaune, warum sie im Frühjahr den Schlachthof in Wiesbaden ausverkaufte. Unheimlich druckvoll kommt der Sound von der Bühne. VIC beherrscht alle Spielarten des Hardrocks in besondere Ausprägung. Ein echter Glücksgriff fürs Festival und ein toller Auftritt, zum Schluss untermalt von einer Feuershow der Airlenbacher Künstlergruppe artArtistica. Die lassen noch mal die Flammen wirbeln beim zweiten Set von RimoJeki. Die beiden in Berlin lebenden Israelis haben bereits den ersten Tag mit ihrer extrovertierten Performance beendet, die selbst zu später Stunde noch etliche hartgesottene Fans findet.

Energiegeladener Höhepunkt gegen Festivalende: Die eigens eingeflogene griechische Hardrock-Band Villagers Of Ioannina City. © Thomas Wilken

Die können feiern bis in die Puppen, denn der kostenlos vom veranstaltenden FC Finkenbachtal zur Verfügung gestellte Campingplatz ist nicht weit. Wobei auch die Finki-Fans in die Jahre kommen: Nicht mehr wie früher erstreckt sich eine bunte Zeltlandschaft im Tal, heutzutage wird den älter gewordenen Knochen Rechnung getragen: Man kommt mit dem Wohnmobil.

Der Samstagsbeginn leidet ein wenig unter dem heißen Wetter. Da brennt in Finkenbach die Sonne so vom Platz, wo sich dann abends schlagartig die Temperaturen halbieren. Die Londoner Ska-Legende Arthur Kay mit seinen Kölner Clerks lässt sich davon aber nicht beirren und verbreitet passend zur Hitze Reggae-Feeling. Von Jamaika nach Bayern: Dr. Will ist mit seinen Wizards ein Paradiesvogel der Szene und gibt eineinhalb Stunden lang unermüdlich den Blues in seinen vielen Spielarten.

Mit Space Debris kehren die improvisationsfreudigen Rock-70er auf die Bühne zurück. Rein instrumental zaubert die süddeutsche Band einen Hauch von Deep Purple, Led Zeppelin oder Can auf die Bühne, verwebt dichte Soundteppiche, geprägt von wummernden Basslinien, eindringlichen Orgelklängen und filigraner Gitarre. Krautrock at its best. Das wissen die Fans, die sich immer mehr aus dem Schatten trauen, denn auf dem Gelände verschwindet jetzt auch die Sonne.

Bands, die man nicht an jeder Eche sieht

Aber was für eine tolle Rückkehr fürs traditionsreiche Finkenbach-Festival im idyllischen Odenwald. Nach zwei Jahren Zwangspause war aufgrund des schleppenden Kartenvorverkaufs die Befürchtung da, dass die Fans zurückhaltender sein würden als früher. Doch die bestätigte sich zum Glück nicht. Zu den Headliner-Shows präsentierte sich das Gelände gefüllt wie eh und je.

Zum 38. Mal in 45 Jahren pilgern die Musikfans ins Neckar-Seitental, um hier Bands zu lauschen, die man sonst nicht an jeder Ecke sieht und hört. Die Hannoveraner Epitaph waren schon 2017 auf der Opener-Position. Die drei Senioren und der Jungspund am Schlagzeug zeigen Jüngeren, wo der Rock-Hammer hängt.

Das alte Finki-Festival-Feeling ist wieder da. Unter die Zuschauer, die schon seit vielen Jahrzehnten kommen, haben sich viele neue Gesichter gemischt, die von den angesagten Bands angelockt werden. Etwa Thorbjørn Risager & The Black Tornado als Headliner des Freitags. Die Dänen werden ihrer Position voll gerecht. Ihre Mischung aus Blues, Rock, Jazz und Soul reißt mit.

Risager als erster Headliner

Bis auf zwei, drei eher langsame Stücke bringt Risager das auf die Bühne, was im Bandnamen steckt: einen musikalischen Tornado. Die sechs Saiten und der Mann an der Schießbude verleihen Risagers Songs ab und zu eine gewisse Hardrock-Attitüde, die aber von den Boogie-Klängen des Klaviers beim nächsten Lied wieder aufgefangen werden. Die Kroatin Vanja Sky mit ihrer deutschen Band in Sachen Bluesrock unterwegs, hat es danach fast ein wenig schwer, in diese große Fußstapfen zu treten. Doch sie schlägt sich wacker, lässt aber teilweise ein wenig Ausstrahlung vermissen.

Freier Autor Freier Journalist für Tageszeitungen im südlichen Kreis Bergstraße und Odenwaldkreis

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