Geburtstag - Komiker Otto Waalkes feiert seinen 70. Geburtstag und legt eine heiter und bescheiden geschriebene Autobiografie vor

Chaotischer Comedy-Pionier

Von 
Oliver Seifert
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Der Komiker Otto Waalkes geht 2015 im Alten Postlager in Mainz durch seine Schau „Otto Waalkes – Die Ausstellung“. © dpa

Eine Bühnenkarriere ist abzusehen: Als Vierjähriger liest er in der Eckkneipe „Bild“-Schlagzeilen vor (für zehn Pfennig Pauschalhonorar), als Fünfjähriger führt er Puppenspiele im Hinterhof auf (für zwei Pfennig Eintritt pro Person). Otto Gerhard, gerufen „Ottje“, sucht früh die Öffentlichkeit für seine Talente, später in der Schule zeichnet er Karikaturen von Lehrern und Mitschülern, auch erste musikalische Vorträge sind zu bestaunen. Der zierliche, eher schüchterne Junge kann nicht anders, lässt seiner Vielseitigkeit freien Lauf, sucht die Bühne als seinen natürlichen Ort der Selbstverwirklichung. Nachdem die Karriere als Frontmann der Beatband The Rustlers noch als Teenager jäh beendet ist, stellt sich die Frage, wie weiter?

Das es weiter geht, als Frontmann in irgendeiner anderen künstlerisch exponierten Funktion, ist sonnenklar für Otto Gerhard Waalkes, am 22. Juli 1948 – morgen vor 70 Jahren – in Emden geboren. Was soll er auch tun? Nach dem Abi ist er in allen Jobs grandios gescheitert, ob als Werftmitarbeiter (nicht schwindelfrei), Fotografenhilfe (zu unterfordert), Möbelpacker (zu schwach) oder Wäscheausfahrer (zu unzuverlässig). Auch das Studium der Kunstpädagogik mit der Perspektive als Lehrer: nicht wirklich was für ihn. Also bastelt er an einem musikalischen Soloprogramm, interpretiert Songs, erzählt Witze, gibt den schrägen Alleinunterhalter. Volltreffer, das Publikum in den kleinen Bars und Kneipen kringelt sich, der junge Mann Mitte 20 hat seine Berufung gefunden: als Komiker, der schnell zur deutschen Humor-Instanz wird.

Otto, wie ihn die Welt nur kurz nennt, betont in seiner gerade erschienenen Autobiografie „Kleinhirn an alle“ gleich im Vorwort, eigentlich nichts weiter gemacht zu haben als „zu blödeln, zu knödeln und zu jödeln“ – eine lebenslange Leidenschaft, eine phänomenale Leistung.

Hilfe der Neuen Frankfurter Schule

Der Ostfriese macht Stand-up-Comedy, als der Begriff noch nicht erfunden ist, seine abwechslungsreichen Albernheiten sind chaotische Pioniertaten zur Begründung eines Genres im deutschsprachigen Raum. Otto ist Otto, keine Figur, keine Rolle, eine natürlich witzige Person ohne doppelte Identitäten. Das ist Teil des Otto-Prinzips, dessen kluge Schlichtheit und clevere Effektivität nicht Konzept marktnaher Kulturproduktion sind, sondern Ergebnisse des Zufalls und der Improvisation („Anarchie war machbar“). Otto macht, was Otto kann, Otto darf, was Otto will. In Sketchen und Parodien, liedhaften Verballhornungen, grotesken Zeitporträts, in Bühnenshows, Kinofilmen und Fernsehserien, als Komiker, Schauspieler, Regisseur, Karikaturist, Musiker, Synchronsprecher – als Otto. Seriös ins Detail zu gehen bei diesem riesigen Œuvre ist schier unmöglich, ersparen wir uns beliebige Beispiele, jeder hat sicherlich seinen größten Otto-Moment parat. Mögen die glorreichen Zeiten der Ottomania auch Jahre zurückliegen, vieles ist in den komischen Kanon aufgenommen und wird ganz selbstverständlich zitiert.

In seinem zurückblickenden Buch, mehr Erinnerungen als Autobiografie, versucht Otto Waalkes erst gar nicht, den Ursachen seines Erfolges dezidiert nachzuspüren, sondern dankt lieber in aller Bescheidenheit und Demut den Garanten: seinem fortwährenden Glück, seinem Manager Hans Otto Mertens und seinen Autoren aus der Neuen Frankfurter Schule Robert Gernhardt, Peter Knorr und Bernd Eilert, der auch bei „Kleinhirn an alle“ mitgeholfen hat. Seine Eigenschaften beschreibt er freimütig: Unordentlichkeit, Vergesslichkeit, Sprunghaftigkeit, Spontaneität; manche von Vorteil, manche weniger.

Was Ottos Erinnerungsbuch so lesenswert macht, ist aber nicht nur der differenzierende, sachliche und doch heitere Ton, sondern die Verknüpfung wichtiger Lebensdaten mit Reflexionen einerseits über Besonderheiten der jeweiligen Zeit und andererseits über Begriffe wie Erfolg, Prominenz, Öffentlichkeit, Komik, Kunst, Gott, Fans. „Kleinhirn an alle“ ist also – trotz des eindeutigen Rufes des Autors – alles andere als ein Scherzartikel, bietet neben Biografie auch Kulturgeschichte und Gesellschaftsanalyse. So viel Tiefgang in so vielen Zeilen von einem für seine oberflächliche, banale Witzigkeit Gescholtenen, der obendrein eine Kritik seines Spätwerks gleich mitliefert: „Was hätte ich denn machen sollen, die letzten 30 Jahre?“

Frühes Bühnentalent

Otto Gerhard Waalkes wurde am 22. Juli 1948 in Emden geboren. Seine Vorliebe für die Bühne entdeckte er früh, doch arbeitete er zunächst in verschiedenen Jobs, die alle nichts für ihn waren, bevor er sich auf seine Tätigkeiten als Komiker konzentrierte.

Der als sprunghaft geltende, spontane Künstler erfindet zahlreiche Figuren (unter anderem die Ottifanten) und tritt als Schauspieler, Regisseur, Karikaturist, Musiker und Synchronsprecher in Erscheinung.

Otto Waalkes: „Kleinhirn an alle – Die große Otto-Biografie“, Heyne Verlag, München. 416 Seiten, 22 Euro. lim

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