Mannheim. Neue Musik interessiert Sie überhaupt nicht? Und von einem Komponisten wie György Ligeti (1923-2006) haben Sie auch noch nie eine Note gehört? Seien Sie da nicht so sicher. Wenn Sie Filme wie „2001 - Odyssee im Weltraum“ oder Eyes wide shut“ gesehen haben, stimmt es schon nicht, an beiden Filmmusiken war Ligeti beteiligt.
Überhaupt war Ligeti, der vor genau 100 Jahren in Siebenbürgen zur Welt kam, immer schon für eine musikalische Überraschung gut, er schrieb nicht nur die einigermaßen absurde Oper „Le grand macabre“, sondern auch ein „Poème symphonique“ für 100 gleichzeitig spielende Metronome. Und „Sippal, dobbal, nádihegedüvel“ für Mezzosopran und vier Schlagzeuger, eines seiner letzten Werke, das jetzt zu seinem 100. Geburtstag von der enorm ausdrucksstarken Katharina Rikus und dem fabelhaften Bremer Schlagzeugensemble im Mannheimer Eintanzhaus, der ehemaligen Trinitatiskirche, aufgeführt wurde.
Was heißt schon Schlagzeug?
Aber was heißt schon Schlagzeug, wenn sich die vier Instrumentalisten mit Pfeifen oder Mundharmonikas beschäftigen? Die Worte des Werks - Text mag man es nicht nennen - entstammen einer ans Ungarische angelehnten Fantasiesprache, auch durch diese Form der Sprachkunst entstehen Klänge, von deren Existenz wir nichts ahnten, vom Schlaflied im verbogenen Volksliedton bis zum Klang-Gewitter, das die vier Schlagzeuger auf zwei Marimbaphonen entfachen. Ligeti hat eigentlich all seine Musik mit einem Augenzwinkern komponiert.
Das Konzert der Gesellschaft für neue Musik hatte noch mehr augenzwinkernde Musik von zwei Schülern und einem engen Freund Ligetis zu bieten, alle komponiert für das Bremer Schlagzeugensemble: Da waren etwa die „Klang-Bilder für vier Schlagzeuger“ des großen Organisten, Pianisten und Ligeti-Freundes Zsigmond Szathmáry: Musik, die nur so vor Melodien strotzt, die sich oft an der Grenze zur Unhörbarkeit bewegt - eine Musik also, die man gerade nicht mit dem Schlagzeug in Verbindung bringt. Und eine Musik, die die schier unendlichen klangfarblichen Möglichkeiten des Schlagzeugs auf die Spitze treibt. Es ist ein Klangfarben-Feuerwerk, das Szathmáry hier abbrennt.
Auch Schüler sind zu hören
Schließlich zwei Ligeti-Schüler: Beide sind längst eigenständige Komponisten-Persönlichkeiten, der Einfluss des Lehrers Ligeti ist womöglich trotzdem hier und da zu spüren. Bei Babette Koblenz in ihrem Stück „Nachtbus für vier Schlagzeuger“ von 2021 am ehesten durch die mäandernden, kaum fassbaren rhythmischen Muster und Strukturen - es ist, als erkunde man beim Hören ein unbekanntes Terrain.
Bei Uros Rojkos uraufgeführtem Stück für vier Schlagzeuger „Nur keiner zu Fuß“ erkennt man Ligetis Geist an der ständig präsenten Doppelbödigkeit. Der Titel ist Teil der aphoristisch kurzen Texte der unterschiedlichsten Autoren, die einigen Abschnitten des Werkes als Motto beigegeben sind; er stammt vom Aphoristiker Werner Mitsch und lautet komplett: „Alle wollen zurück zur Natur. Nur keiner zu Fuß“.
Nicht jedes Wort dieser oft bösen und durchaus politischen Texte ist zu verstehen, schließlich haben wir es mit einem Werk von großer, oft auch lauter musikalischer Vielfalt zu tun. Doch bei den wirklich zentralen Sätzen hält sich die Musik zurück: „Wir haben noch genug Kohlenstoff, um die Erde zu braten.“
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