„Sie sind schuld“, sagt im Roman der Staatsanwalt wütend zu Christa Lehmann, einer Frau, die drei Menschenleben auf dem Gewissen hat. Den real geschehenen Fall beschreibt Walter Landin in seinem aktuellen Werk „Wormser Gift“. Es sei eine „literarische Annäherung“, doch freilich ist es mehr als die Geschichte einer Mörderin. Damals, 1954, als das Urteil „drei Mal lebenslanges Zuchthaus“ gefällt wurde, gab es kein Blatt, das nicht davon berichtet hätte. Christa Lehmann hatte mit E 605, ein Pflanzenschutzmittel, getötet, das Nachahmern Morde und Suizide leicht machte.
Fast 70 Jahre sind vergangen, aber die Tat der „Gifthexe von Worms“ macht noch immer betroffen. Erzählerisch und spannend führt der Autor, selbst Jahrgang 1952, in die Zeit der Kriegsgeneration mit den patriarchalisch geführten Ehen.
Karl, Christas Ehemann, ist 1912 geboren, durch Kinderlähmung zum Krüppel geworden, unzufrieden, trunksüchtig. Durch Krieg, Krankheit, oder durch den Niedergang seines Geschäfts? Vieles kann der Auslöser sein. Er schlägt seine Frau und nötigt sie zum Sex. Den wenigen Lohn, der damals bar ausbezahlt wird, versäuft und verhurt er. Und Christa weiß nicht, wie sie die Kinder ernähren soll.
1944, als sie den Plattenleger heiratet, ist sie 21 Jahre alt – und 29, als sie ihn vergiftet. Ihr nächstes Opfer ist der Schwiegervater, der vor den Kindern die Wurst auspackt und ihnen keinen Zipfel davon gibt. Und am Ende wird es ihre beste Freundin sein, die stirbt. Versehentlich. Durch eine präparierte Praline.
Anni spuckt die bittere Füllung aus, ihr Hund frisst sie und verendet. Das macht den herbeigerufenen Arzt stutzig. Er schaltet die Polizei ein, und die Giftmischerin ist bald ermittelt. In einigen Kapiteln, betitelt „Christa“, lässt Walter Landin die Mörderin zu Wort kommen. Sie schildert ihre Gedanken, ihre Gefühle, ihre Sicht, die Lügen, die Einsichten, die Geständnisse. Einen anderen Blickwinkel nehmen die Juristen und die Kriminalbeamten ein. Bei ihnen zählen Fakten, sonst nichts.
Nur der Assistent Armin Kossmann sieht in der Angeklagten eine Frau, ihre Ohnmacht und ihre gesellschaftliche Rolle, aus der kein Ausbrechen geduldet wird. „Bis dass der Tod euch scheidet“, sagt auch Christas Vater und schickt sie in die Ehe-Hölle zurück. Das bürgerliche Leben der Nachkriegszeit, dessen Struktur sich bis in die 1970er Jahre nicht ändern wird, lässt Landin mit dem jungen Kossmann einfließen.
Was aber Lüge und Wahrheit ist, wie Lehmann wirklich war, bleibt auch ihm verborgen. 1977 wird sie aus der Haft entlassen. Sie ist 54 Jahre alt und beginnt mit neuer Identität ein unbemerktes Leben.
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