Enjoy Jazz - Ensemble um Gründer Mehmet Ungan begeistert mit Klangfarbenpracht

Beeindruckende Gala der Orientalischen Musikakademie Mannheim bei Enjoy Jazz

Von 
Georg Spindler
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Auf orientalischen Instrumenten (v.l.): Mehmet Ungan, Ali Ungan, Abdelhabe Deb und Kenan Tülek. © Manfred Rinderspacher

Entnazifiziert worden sei er an Leib und Seele durch den swingenden Rhythmus des Jazz. Das hat der legendäre Konzertveranstalter Fritz Rau immer wieder gern betont. Eine Musik von ähnlich befreiender Kraft, die totalitärem Denken per se entgegensteht, bot das Ensemble der Orientalischen Musikakademie Mannheim (OMM) bei seinem Enjoy-Jazz-Heimspiel in der Christuskirche. Sein Klang-Amalgam aus türkischen, arabischen, indischen und auch südosteuropäischen Einflüssen bestach nämlich durch eine herausragende Eigenschaft: seine in jeder Note spürbare Humanität.

Nichts, aber auch gar nichts in dieser faszinierenden Stilfusion klingt aggressiv: eine auffällige, rare Qualität. Das mag mit der Filigranität der Musik zu tun haben, die jede Melodielinie in feinverästelte Arabesken verschnörkelt. Auch die Rhythmen sind nuancenreich ziseliert und weit entfernt von aller Schwere, wie sie Popmusik angloamerikanischer Prägung zum (westlichen) Klischee erhoben hat. Selbst die intensivsten, mitreißendsten Sequenzen wirken bei diesem Auftritt nie offensiv: Wenn etwa Güldeste Mamaç zu peitschenden Trommelschlägen ihre Geige mit wilden Bogenhieben attackiert, als wollte sie die Saiten zerraspeln, ist kein Furor spürbar, sondern vielmehr überbordende Vitalität.

Enjoy Jazz

Die Orientalische Musikakademie Mannheim in der Chiristuskirche

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Das 13-köpfige Ensemble, das OMM-Gründer Mehmet Ungan um sich versammelt hat, präsentiert bei dem Late-Night-Konzert eine Suite, deren Grundton wunderbar friedlich ist. Die instrumentalen Stimmen dieser Musik klingen denn auch leicht und fragil. Zum Beispiel die von Ungan geblasene Holzflöte Ney, die einen betörend hauchigen, luftigen, warmen Sound besitzt. Oder die von Muhittin Kemal höchst virtuos bediente Kanun, ein Mittelding zwischen Zither und Harfe, der er funkelnde, fein glitzernde Tonpartikel entlockt oder zart schimmernde, schwerelose Arpeggios, als wehe ein leichter Wind über die Saiten.

Gesang voller Sanftmut

Ein anderes Faszinosum, das den mitteleuropäisch geprägten Hörer verwundert und in Bann schlägt: Dem Gesang der männlichen Vokalisten ist so gar nichts von maskuliner Kraftstrotzerei zu eigen, er verströmt vielmehr - Sanftmut. Und als alle Mitwirkenden bei einem sirtaki-ähnlichen Lied in den zarten Gesang von Vokalistin Serap Giritli einstimmen, hat auch dies so gar nichts Machtvoll-Dominierendes an sich, eher fühlt man sich an murmelnde Mönchsgesänge erinnert.

Die 100-minütige Suite schlägt einen weiten Bogen - von besinnlich-meditativen Stimmungen über vor Hitze flirrende Klangbilder und sinnenfrohe Tanzstücke bis hin zu ekstatischen Ausbrüchen. Im Zentrum steht pure Poesie: Mehmet Ungans ganz persönliche Vision von einem menschlichen Miteinander, die er mit seinen Mitmusikern teilt. Das Konzert ist eine begeisternde Ensembleleistung, die allen auf der Bühne gleichberechtigt Raum gibt.

Seit 2008 im Jungbusch aktiv

Die Orientalische Musikakademie Mannheim (OMM) wurde 2008 von dem Musiker und Soziologen Mehmet Ungan im Jungbusch gegründet. 2015 wurde der Studiengang Weltmusik an der Popakademie Mannheim durch die Vorarbeit der OMM eröffnet.

Die OMM bietet darüber hinaus ein eigenes Unterrichtsprogramm.

Die Band: Serap Giritli, Abdelhade Deb (Gesang), Mehmet Ungan (Oud, Ney), Ali Ungan (Baglama, Rebab), Kenan Tülek (Baglama), Fadhel Boubaker (Oud), Muhittin Kemal (Kanun), Güldeste Mamaç (Geige, Gesang), Jonathan Sell (Bass), Tayfun Ates, Kasia Kadlubowska (Percussion), Shany Mathew, Talib Elmasulu (Tanz)

Einige freilich ragen neben den bereits Genannten heraus. Jonathan Sell meistert bravourös die Aufgabe, an E- und Kontrabass das OMM-Ensemble sowohl zu stützen als auch zu forcieren, mit pendelnden Akkordwechseln, druckvollen Riffs und schmiegsamen Gegenlinien. Kenan Tülek brilliert an der Baglama, die er mit Tapping-Technik zweihändig auf dem Hals der Laute spielt. Er lässt sie reich an Obertönen schnarren und metallisch schwirren, fast wie eine zwölfsaitige Gitarre in der US-Bluegrass-Musik. Manchmal weckt die orientalische Klangästhetik eben ungeahnte Assoziationen. So, wenn der syrische Sänger Abdelhade Deb seine Stimme volltönend erhebt: Dann ist ein Pathos zu spüren, das in der italienischen Oper nicht fehl am Platze wäre. Oder wenn Güldeste Mamaçs sehnsuchtsvoll schluchzende Violine an die Leidenschaftlichkeit von Sinti-Geigern erinnert.

Spektakulär geraten die Tanzdarbietungen. Shany Mathew, farbenfroh gewandet, bezieht sogar die Augen in ihren graziösen südindischen Tanz mit ein und verstreut pantomimisch Gaben an eine imaginäre Gottheit. Alle Blicke auf sich zieht auch Talib Elmasulu mit seinem trancehaft entrückten, schwindelerregenden Derwisch-Drehtanz, bei dem er seinen Körper ohne Unterlass zum Kreisen bringt.

All dies mündet in ein furioses Finale, bei dem beide Tanzenden vor dem Altarraum umherwirbeln, angetrieben vom Ensemble und vor allem vom Percussion-Duo Kasia Kadlubowska und Tayfun Ates. Ihrem Wechselspiel zuzuhören, ist allein ein Spaß für sich, denn sie komplettieren sich spannungsvoll: Er sorgt für die härteren Trommelakzente, sie für feine Klangnuancen. Beide zusammen zeigen, dass die orientalischen Rhythmen auf ganz eigene Art Groove besitzen. Und so gerät die Zugabe zu einer kochenden Jamsession, und das zu einer jazzigen Uhrzeit: ’Round Midnight, kurz vor Mitternacht. Und es swingt durchaus.

Redaktion

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