Ein Spätnachmittag wider jeder Konvention. Keine preisende Predigt, keine innige Bibel-Lektüre, nein: Eine Messe soll es sein, die in der evangelischen Paul-Gerhardt-Kirche in Mannheim Martin Luther und dem Reformationsjahr seine Ehre verleiht. Und wie es sich ziemt, wählt man für Anlässe wie diesen kein Werk von der Stange, sondern ein eigens komponiertes Werk.
Die japanische Pianistin Sachie Matsushita scheint für solche Würfe an diesem Ort prädestiniert zu sein. In der Paul-Gerhardt-Kirche getauft, in der Gemeinde sozialisiert und musikalisch durch etliche Projekte anerkannt, wird sie zur Figur, die vor drei Jahren beginnt, Paul Gerhardt selbst eine Messe zu widmen - um sie an diesem Tag freizulassen.
Mastushita ist das höchste Risiko eingegangen. Denn für ihre erste Zusammenarbeit mit einem Sinfonieorchester hat sich die Japanerin den ganz großen Instrumentalkasten zurechtgelegt. Emi Abo (Sopran), Angela La Rosée (Mezzosopran) und Tenor Nam Won Huh als Solisten, dazu der Klangkörper der Medizinischen Fakultät aus Mannheim.
Bittere Klangwogen
Doch wie klingt sie denn nun, die "Messe Paul Gerhardt"? Zu allererst einmal: finster. Statt barocker Opulenz und christlich-gläubigen Ranken dominiert der konzentrierte, strenge Purismus, der die Agonie der Sünde in bittere Wogen schwärzlicher Abgründe kleidet. Der weitgehend vollständige Verzicht auf Rezitativ-Wiederholungen forciert zudem eine Pointe, die für jede Form der Zuversicht wenig Atem übrig lässt - den Zuhörer jedoch nicht vollends ersticken will.
"Es ist eine sehr differenzierte Musik, die in ihrem Vorhaben erst verstanden werden muss, weil sie uns eine Dunkelheit schenkt, in der das Licht glänzt", erklärt es Patricia Rojas-Schubert, die die Partitur ein halbes Jahr mit ihrem Orchester einstudierte. Wer den Zugang zu diesem Lichtschimmer erhellt, kann in von Matsushita knallhart dirigierten 25 Minuten zwischen der vibrierenden Melodik im Sanctus und schneidenden Bläser-Dissonanzen im Gloria Haas bemerkenswertes Material zwischen Wolfgang Rihm und Georg Friedrich herausspüren.
Es vereint progressive Avantgarde mit lateinischen Traditionstexten, ohne die Wurzeln in Richtung Bach und Beethoven ganz zu begraben. Harter Stoff, der verdient seinen Beifall, und mit ein wenig Dur im Agnus Die immerhin doch noch einen versöhnlichen Frieden findet - die Erlösung darf kommen.
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