Beim Vergeben von Auszeichnungen scheint die Mannheimer Kulturpolitik zurzeit mehr Fortune zu haben als beim Besetzen von Posten. Denn die designierte Trägerin des renommierten Schillerpreises der Quadratestadt wird in diesem Jahr auch mit der wichtigsten literarischen Auszeichnung der Republik geehrt: Wie die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung am Dienstag in Darmstadt mitteilte, bekommt Schriftstellerin, Schauspielerin und Regisseurin Emine Sevgi Özdamar den Georg-Büchner-Preis 2022.
Sie ist erst die zwölfte Frau, die mit dem seit 1951 vergebenen Preis ausgezeichnet wird. Nach Friedrich Dürrenmatt, Golo Mann und Peter Handke wird sie als Vierte beide Auszeichnungen ihr eigen nennen können. Und die Autorin, die in Berlin und der Türkei lebt, hat einen bewegten November vor sich: Erst bekommt Özdamar am 5. November im Staatstheater Darmstadt den Büchner-Preis. Die Verleihung des Schillerpreises 2022 folgt am 27. November im Nationaltheater mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Laudator, wie die Stadt am Montag mitgeteilt hatte.
Ähnliches Gespür wie die Darmstädter Jury bewies also das Schillerpreisgericht mit Mannheims OB Peter Kurz, Kulturbürgermeister Michael Grötsch, der scheidenden Kulturamtsleiterin Sabine Schirra sowie die Juroren Luzia Braun vom ZDF-Kulturmagazin „aspekte“, Lesen.Hören-Kuratorin Insa Wilke Literaturwissenschaftler Lothar Müller, Journalist und Literaturkritiker, sowie Vertretern des Gemeinderats.
Die Büchner-Preis-Jury begründete ihre Entscheidung wie folgt: „Mit Emine Sevgi Özdamar zeichnet die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung eine herausragende Autorin aus, der die deutsche Sprache und Literatur neue Horizonte, Themen und einen hochpoetischen Sound verdankt.“
Die am 10. August 1946 in der Türkei geborene Autorin, Schauspielerin und Theaterregisseurin bereichere seit über drei Jahrzehnten die deutschsprachige Literaturszene mit ihren Romanen, Erzählungen und Theaterstücken. Die Akademie ehrt eine Autorin, die das Erinnern zu einem zentralen Motiv in ihren Romanen erhoben hat.
Zu ihren bekanntesten Büchern gehört der Roman „Das Leben ist eine Karawanserei: hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus“. Für einen Auszug daraus erhielt sie 1991 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Das Buch ist ebenso wie „Die Brücke vom Goldenen Horn“ (1998) und „Seltsame Sterne starren zur Erde“ (2003) autobiografisch geprägt. Alle drei Romane wurden wegen ihrer literarischen Qualität von der Kritik hoch gelobt. Das gilt auch für ihr jüngstes Werk „Ein von Schatten begrenzter Raum“, das 2021 erschien. Özdamar wurde in Malatya in der Türkei geboren und wuchs in Istanbul und Bursa auf. 1965 kam sie erstmals nach West-Berlin, wo sie ab 1971 lebte.
Ungewohnte Stilmittel
Ungewohnte literarische Stilmittel und aus dem Türkischen inspirierte Sprechweisen prägten ihre Texte, hieß es von der Jury. Diese würden neben intimen persönlichen Erfahrungen ein breites Panorama deutsch-türkischer Geschichte entfalten, vom Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart. Kulturstaatsministerin Claudia Roth kommentierte: „Wir verdanken Emine Sevgi Özdamar große Literatur, die uns teilhaben lässt an der Zwiesprache der deutschen mit der türkischen Kultur. Dieses Miteinander, in all seinen Facetten, ist zu einem Teil unserer Geschichte geworden.“ (mit dpa)
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-auf-mannheims-schiller-folgt-der-buechner-preis-fuer-emine-sevgi-oezdamar-_arid,1982960.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html