Das neue Buch - Kathrin Röggla untersucht in "Die Alarmbereiten" die Krisenpanik unserer Tage

Angst vor der Katastrophe

Von 
Gunter Irmler
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Welche literarischen Möglichkeiten sich gegenwärtig in den Unternehmen unseres Landes auftun, hat Kathrin Röggla mit ihrem preisgekrönten Roman "wir schlafen nicht" gezeigt. Jetzt breitet die 38-jährige gebürtige Salzburgerin, die in Berlin lebt, in ihren neuesten Texten ein Tableau verbreiteter Schreckensszenarien und was wir dafür halten vor uns aus. Ob Klimakollaps, die Finanzkrise, Panik in der Schule oder anderes mehr: Unsere fast täglich neu genährte Alarmbereitschaft und ihre Inszenierung durch Experten, Medien oder Mitmenschen hat Röggla kritisch betrachtet.

So beherrschen Alptraumhaftes und Irreales die Szenerie der Geschichte "die zuseher": "Mal sehen, ob die wälder wieder brennen, mal sehen, ob starke hitze uns entgegenschlägt. (...) mal sehen, ob sich wassermassen gegen brücken stemmen oder dämme längst gebrochen sind. Mal sehen, ob sich wieder was tut." Eindringlich geraten Natur und Hügel, Felsen und Fluten in Bewegung.

In einem Hotel sind die Krisenlenker zusammengekommen - Politiker, Naturwissenschaftler, Ingenieure. Die wollen die Kommunikation der globalen Katastrophe steuern. Und stehen zuschauend auf verlorenem Posten: Sie sind ohne Kontakt zu zentralen Stellen, nicht einmal zu Nachbarn oder Familienangehörigen.

Die Katastrophenangst ist bei Röggla allgegenwärtig. Dabei leitet Hysterie die Protagonisten des Katastrophenalarms. Wie in der Geschichte "die erwachsenen". Die Elternsprecherin der Grundschule macht die Mutter einer Schülerin für eine Epidemie an der Schule verantwortlich. Die angeklagte Mutter berichtet von den Vorwürfen, sie sei die Ursache für das "massive auftreten psychosomatischer störungen": "Ob mir klar sei, dass mit diesen konzentrationsschwierigkeiten anfälligkeiten für heuschnupfen und asthma einhergingen? Plötzlich würden kinder zu husten beginnen, die vorher nie gehustet hätten. Plötzlich würden kinder sich übergeben, die sich vorher niemals übergeben hätten." Leib und Leben der Kinder seien in Gefahr.

Hinter langen Monologen entlarvt Röggla schonungslos die Inszenierungen dieser Katastrophen: Sie schält die Obsessionen und die Destruktivität der Figuren heraus, die hinter wohlfeiler Rhetorik zum Vorschein kommen. Durch die Klischees funkelt die Ironie. Demaskierend sind die leeren Beschwörungsformeln positiven Denkens, die den Figuren über die Krise hinweghelfen sollen. Dabei blüht der Konjunktiv: Alles ist durchweg in indirekter Rede geschrieben. Auch das Erleben der Figuren hat befremdlich indirekte Formen angenommen. Die ganze Existenz scheint in hohem Maße vage.

Diesmal hat der Verlag Rögglas neue Texte nicht als Roman annonciert: Die Autorin setzt sie nämlich multimedial als Prosa, Drama und Hörspiel ein. Stärkste Kraft entfalten sie als Hörspiel. Wenn sich Röggla dem Joch der Alltagssprache zu sehr beugt, verliert sie sich in blutleerem Jargon, Floskeln und Beliebigkeit. In ihren stärkeren Szenen dagegen protokolliert sie überzeugend das Rauschen der Katastrophenangst unserer Zeit.

Freier Autor Der Lektor, Literaturkritiker, Literaturwissenschaftler und Journalist Gunter Irmler ist unter anderem für Die Zeit, Die Zeit online, Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten und Mannheimer Morgen tätig.

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