Mannheim. Zu Silvester ins Theatermuseum? Bitte nicht! Eine 45 Jahre alte, dazu „halbszenische“ Operetteninszenierung mit Plüsch und Plunder? Keinesfalls! Und dann noch „Die Fledermaus“, diese erzwungen-gewundene K&K-Schwachsinnsgeschichte von launigem Ehebruch und jovialem Altherrenwitz? Bloß nicht! Wer denkt, da bliebe man doch besser daheim, kennt Mannheims Opernpublikum ebenso wenig wie sein Opernensemble, denn feste Feste feiern - Standing Ovations bewiesen es hernach - lässt sich immer noch famos mit dieser goldenen Operette.
Sie zeigt uns nämlich in all ihrer Tür-auf-Tür-zu-Mechanik immer noch den Menschen, wie er gerne wäre oder zumindest wahrgenommen werden würde: recht raffiniert, ein wenig anarchisch, triebhaft, trinkfest, dem Zauber des Augenblicks verhaftet und letztlich versöhnlich.
Starke Leistungen auf allen Positionen
Von all diesen allzumenschlichen Sehnsüchten gibt es bei Johann Strauss (Sohn) immer reichlich zu nippen, besonders beim Fest des Prinzen Orlofsky, noch so ein reicher Russe, dem das Lachen vergangen ist und der daher großzügig nach Ablenkung aus der ihn hofierenden Gesellschaft sucht - „chaqu’un à son goût“! Gesungen wird er im höchst gelungenen Rollendebüt von Shachar Lavi mit grimmiger Verve und gespielt mit herrlichem Akzent. Schon davor im 1. Akt begeistert das NTO-Ensemble mit Spielfreude und stimmlichen wie schauspielerischen Leistungen, die einen das ungeliebte Wörtchen „halbszenisch“ komplett vergessen lassen.
Mit Bravour an den Musensaal angepasst
Friedrich Meyer-Oertels Inszenierung aus dem Jahr 1978 in den bezaubernden, durch Spende des Richard-Wagner-Verbandes mittlerweile sanierten Bühnenbildern Wolf Wanningers ist ein Mannheimer Museumsstück. Geliebt, teils auch belächelt, aber eben eines, das durchaus noch brillant funkeln kann, wie sich jetzt bei der Wiederaufnahme am Silvesterabend zeigte. Es ist gar mehr, eine veritable Premiere geworden, denn Stephanie Schimmer hat den gut dreistündigen Abend von der in Sanierung befindlichen Opernhausbühne in den Musensaal des Rosengarten geholt oder zutreffender: szenisch eingerichtet, kongenial übersetzt und handwerklich kunstvoll transkribiert.
Die Mannheimer „Fledermaus“
- Die goldene Operette von Johann Strauss wurde 1874 im Theater an der Wien uraufgeführt.
- Die beliebte Mannheimer Inszenierung von Friedrich Meyer-Oertel stammt aus dem Jahr 1978 und war seither Ensemble-Spielwiese für spontane Text-Aktualisierungen oder Bloomaul-Verleihungen.
- 2014 spendeten Mitglieder des Richard-Wagner-Verbandes unter Monika Kulczinski 27 000 Euro für die Sanierung der beliebten, weil opulenten und traditionellen Ausstattung.
- Die aktuelle Wiederaufnahme ist eine Premiere der szenischen Einrichtung für den Ausweichspielort Musensaal. Weitere Aufführungen am 9., 11., 14. und 16. Januar. Karten 0621/16 80 150.
Neue Dialoge, eine neue Raum- und Orchestersituation, Umschiffung beschränkter Auftrittsmöglichkeiten - all das ist mit Bravour gelungen und lässt einen vergessen, dass wir hier keine Züge, Gassen, Unter- und Drehbühne haben. Es ist - und das ist eine enorme Leistung - ein ganz normaler Theaterabend, dazu noch ein besonders gelungener, an dem nichts fehlt.
Mannheimer Sängerriege glänzt mit Spiellust
Wer so viel vor hat, braucht Ideen, Energie (und vielleicht gar keine millionenschweren Ersatzspielstätten?), aber vor allem ein Ensemble, das mitmacht. Und hier hat Schimmer eine feste Bank: Auf die Mannheimer Sängerriege ist Verlass. Lust und Bereitschaft, szenisch und spielerisch alles zu geben, ist jedem und jeder anzumerken.
Wo fangen wir an? Am besten bei Energiepaket Joachim Goltz, dessen viril-jovialer Eisenstein nicht nur den Bloomäulern Ehre antut, sondern auch jenen alten Mannheimer Theatergeist heraufbeschwört, der ihn einst als junger Statist für das Nationaltheater begeisterte. Es tut der Leistung der Akteure keinen Abbruch, zu berichten, dass sich diese „Fledermaus“ anfühlt, als schwebte auch der gute Ensemblegeist der alten Recken - nennen wir sie Pürgstaller, Herr, Syri oder Mazura - im Saal.
Die Spielfreude ist kaum zu bändigen, Goltz, Nikola Diskic (Dr. Falke) und Rafael Helbig-Kostka (Alfred, „the brilliant Tenor-Jukebox“)) springen von der Bühne, dass einem arbeitsicherheitstechnisch Angst und Bange werden kann. Mit ihnen und Thomas Berau (Frank), Raphael Wittmer (Dr. Blind), Nataliia Shumska (Ida) treffen hier echte Komiktalente aufeinander, in schnellen Anschlüssen und feinmechanisch konzisen Szenenübergängen, in denen auch Dirigent Jãnis Liepins nicht verschont bleibt - und humorvoll mit ins Geschehen eingreift.
Ob mit Zylinder oder Staubwedel: Dieser Strauß schimmert unter seinem Dirigat in NTO-Musikerhänden golden, glitzert rhythmisch donaublau und perlt wieder besungene Champagner - „Die Majestät ist anerkannt“. Auch bei den Soubrettenkoloraturgirlanden Estelle Krugers (Rosalinde) oder Amelia Scicolones, deren Rollendebüt als Adele beweist, dass sich da zwei gefunden haben.
Die Not und die Tugend
Stephanie Schimmer hat dem jungen, quicklebendigen Ensemble eine Runderneuerung verpasst, der „Fledermaus“ Staub von den Flügeln gepustet, den sichtlich vergnügten Opernchor (Alistair Lilley) von der Bühne in den Saal und auf die Empore geholt und reichlich Gags ins Geschehen eingestrickt.
Die wollen wir hier ebenso wenig verraten wie die Pointen des als Entertainer, Kabarettist und Mainzer Frosch in der Kurpfalz bestens reüssierenden Kabarettisten Lars Reichow. Die Stimmung war prächtig, vor halbszenischem Trockengestikulieren und ollen Kamellen braucht sich im Musensaal keiner zu fürchten. Diese Fledermaus ist ein Vollblut-Theaterpferd, das zieht. Na dann, frohes Neues!
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