Uwe Rauschelbach
Das 858 Quartet um US-Jazzgitarrist Bill Frisell beginnt sein Konzert mit Kratz- und Quietschgeräuschen. Aus dem expressionistisch anmutenden Klanggewaber schälen sich Melodie und Rhythmus heraus. Erst allmählich verzieht sich in dieser brodelnden Alchimistenküche aus Tönen und Geräuschen der Dampf und lassen sich Strukturen und Motive erkennen.
Das ist typisch für dieses Konzert, das Bill Frisell im Ludwigshafener Kulturetablissement das Haus gibt. Es sind Stücke von wahrhaft epischen Ausmaßen, die immer wieder in kakophonischen Untiefen landen, um sich stilistisch mäandernd und oszillierend an formalen Fragmenten festzuhaken. Das Quartett inszeniert gleitende Metamorphosen und fließende Transformationen, die sich zu musikalischen Mantren verdichten.
Konzentrierte Konferenz
Aus dem Chaos an Klängen präparieren Frisell und seine Begleiter Ron Miles (Trompete), Eyvind Kang (Violine) und Hank Roberts (Cello) musikalische Motive und rhythmische Muster heraus. Das soghafte Kreisen um Themen hat durchaus hypnotischen Charakter. Das mag einlullend wirken. Zumal der Vortrag dieses Ensembles wenig dazu beiträgt, konsumfreudige Erwartungen zu befriedigen. Dass der Kopf des Sitznachbarn schon nach den ersten Takten des Konzerts mehrmals schwer auf die Brust fällt, dürfte aber andere Gründe gehabt haben, als sie in der Qualität dieses Konzerts zu suchen wären.
Denn so komplex dieser Vortrag auch sein mag, so spannungsreich ist das, was die vier Herren auf der Bühne treiben. Das ist kein lockeres Kamingespräch zur späten Abendstunde, sondern eine konzentrierte Konferenz. Das Frisell-Quartett agiert hochreflexiv, ohne Zuflucht zu reproduzierenden Formaten zu nehmen. Stattdessen mit ungebrochenem Drang, das vorgegebene musikalische Material einem steten Verfremdungsprozess zu unterziehen. Dieser hat aber nichts Willkürliches, er hascht nicht nach Überraschungseffekten, sondern ist als Weg der beinahe schon religiös anmutenden Anverwandlung dessen, was Jazz, Neue Musik, Country oder Folklore bereithalten, erkennbar.
Gesprochen wird bei diesem Konzert nicht. Zu Beginn gibt Frisell lediglich die Namen seiner Begleiter bekannt. Die sind allesamt hochrangig, agieren wendig und mit variablen Einsätzen. Die solistischen Rollen sind klar definiert. Es ist ein munteres Wechselspiel, ohne schroffe Dominanzen, stattdessen von hoher Ausgewogenheit. Keine Kommunikationstheorie könnte bessere Erkenntnisse über das zwischenmenschliche Gespräch liefern.
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