Begegnung - Kunstweltstar Ai Weiwei stellt in Berlin ein Werk zum Selberbauen vor – eine Verehrerin aus der Nachbarschaft ist dabei

Ai Weiwei: keine Trennung von Kunst und Kommerz

Von 
Caroline Labusch
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In seinem Berliner Studio und vor seinen „Safety Jackets Zipped the Other Way“: Ai Weiwei, der unumstrittene chinesische Star der internationalen Kunstszene. © Hornbach

Ai Weiwei mag als Künstler umstritten sein - ich bewundere, wie er seinen Unterdrückern die Stirn bietet. Kritikerinnen und Kritiker monieren, dass seine Bildsprache zu plakativ und direkt sei, aber ich denke, es geht um das Ziel: Menschen in aller Welt erfahren auf eindrückliche Weise von rigoroser Willkür, Ausbeutung, Ungerechtigkeit, ohne die Hoffnung zu verlieren.

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Dass dieser kraftvolle Kämpfer jüngst von Berlin nach Cambridge floh, weil Deutschland ihm zu fremdenfeindlich und unhöflich sei, erstaunte mich. So einige Deutsche könnten Nachhilfe in Sachen Offenheit und Höflichkeit gebrauchen, aber gibt es einen Ort, wo die Menschen so viel offener, internationaler, freundlicher sind als in unserer gemeinsamen Nachbarschaft Berlin Mitte und Prenzlauer Berg?

Zu Besuch in Berlin

Nun kommt Ai Weiwei aus dem höflichen England für seinen „Kunstwerk-Launch“ zu Besuch ins schlecht erzogene Berlin: „Safety Jackets Zipped the Other Way“. Das Werk von Ai Weiwei zum Selberbauen. Auf dem Einladungs-Flyer prangt das Logo der Baumarkt-Kette Hornbach. Zeigt Ai Weiweis Finger nun auf den deutschen Heimwerker? Auf den Kapitalismus? Oder ist der Hornbach-Sticker nur ein Dankeschön für die Geldspritze?

Als eine von nur 50 Medienvertreterinnen und -vertretern darf ich der Präsentation beiwohnen. Doch bevor ich den Termin in meinen Kalender eintragen kann, schlägt Herr Ai schon in meinem koreanischen Lieblingsrestaurant auf - und nimmt damit meiner Mittagspause die Unbeschwertheit. Es ist nicht das erste Mal, das ich ihm in einem Restaurant begegne, immer umgeben von einer mindestens dreiköpfigen Clique. In dieser Gegend lässt man Prominente in Ruhe. Aus Höflichkeit.

Aber ich muss die Fügung nutzen, mich als interessante Gesprächspartnerin für den morgigen Tag ins Spiel zu bringen. Nach dem Essen passe ich den Meister am Ausgang mit einer Smalltalk-Attacke ab: „Entschuldigung, sind Sie Herr Ai?“ Sein fröhlicher Gesichtsausdruck versteinert. Ob es morgen eine Möglichkeit geben werde, nach der Präsentation ein paar Worte zu wechseln? „Sind Sie Journalistin?“, fällt er mir ins Wort. Ich entscheide mich für die Wahrheit: „Nein, aber ich …“ - „Es wird nicht interessant sein“, sagt er. „Bleiben Sie lieber weg und gehen in einen Coffee Shop!“ Als ob! Weg ist er. Die coole Clique hinterher.

Demokratisierung von Kunst

Hat er mich eben - unhöflich! - abgeschüttelt, weil er annimmt, ich sei keine Multiplikatorin und sollte den 49 echten Journalismustreibenden nicht auf die Füße treten? Oder wollte er mich - aus Höflichkeit! - vor falschen Erwartungen schützen?

Die Präsentation findet am 11. Februar um 11.30 Uhr in Ai Weiweis gigantischem unterirdischem Studio statt, das er mit über 20 Leuten in Berlin Prenzlauer Berg betreibt. Backstein, Beton, ewig hohe Decken, durch ein schickes Fenster sieht man Himmel, Bäume, Häuser. Eine Mitarbeiterin des Hornbach-Marketing-Teams erzählt stolz, dass die Werbeagenturen Heimat aus Berlin und Neutral aus Zürich eine Kampagne entwickelt haben, für die sie Ai Weiwei gewinnen konnten. So führt auch Neutrals Agenturchefin Michelle Nicol das Interview mit dem Künstler. Er erzählt, dass er sofort zugesagt habe, weil er so die Bevölkerung jenseits des Kultur-Establishments erreicht: zum Beispiel deutsche Heimwerkerinnen und -werker. Das Ready-made stehe für die Demokratisierung von Kunst, schlägt Nicol vor. Ai spricht aber lieber darüber, dass er in Deutschland angefeindet wird, krasse Reaktionen jedoch liebt, dass Kunst der Selbstfindung des Menschen dient, und endet mit dem Statement, dass Kunst nicht die Welt verändere, sondern die Welt sei.

Der Aufbau des Kunstwerks in der XXL-Version wird von drei Hornbach-Leuten demonstriert. Dauer: etwa 15 Minuten. Material: vier 6-Meter-Edelstahlstangen, Kabelbinder und sechs leuchtende Sicherheitsjacken, die über die Reißverschlüsse kranzförmig aneinander gezippt werden. Sieht das aus wie eine Krone? Das Orange erinnert an Bauarbeiter. Ai Weiwei posiert vor der Krone wie ein König. Kleiner Kritikpunkt: Für diese Version braucht man eine große Wohnung und 500 Euro, die XS-Version ist mit 150 Euro auch nicht geschenkt.

Endlich darf ich Ai Weiwei eigene Fragen stellen: Ist die Kooperation mit dem Wirtschaftsriesen Hornbach-Holding noch mit künstlerischer Freiheit zu vereinbaren? „Ja!“, sagt er. Er müsse immer über kommerzielle Kanäle gehen. In der kapitalistischen Welt sei Kunst von Kommerz nicht zu trennen. Wer sagt, er sei frei von kommerziellen Interessen, belüge sich selbst. Die Aufgabe sei, kommerzielle Unterstützung für die richtigen Zwecke zu nutzen. Erkennt er mich eigentlich? Wie ich es eigentlich zu interpretieren habe, frage ich, dass er gestern meinte, im Coffee Shop sei es interessanter als hier. Es dämmert ihm. Weil man in so einem Rahmen ja doch nur oberflächliche Gespräche führen könne. „So, dachte ich, dass Sie nur Ihre Zeit verschwenden würden.“ Aha. Ich verehre ihn trotzdem.

Die Autorin Caroline Labusch ist Künstlerin und Autorin und lebt in Berlin-Mitte in unmittelbarer Nachbarschaft zum Studio von Ai Weiwei.

Ai Weiwei – nach Europa geflüchteter und weltweit bekannter Künstler

  • Der Künstler: 1957 in Peking geboren, zählt Ai Weiwei zu den berühmtesten Künstlern der Welt. Seit den 1990er Jahren wird Ai weltweit als Künstler, Architekt, Kurator, Filmregisseur und Fotograf gefeiert. Nach ersten Anfängen als Architekt und Konzeptkünstler bestimmten zunehmend Themen seine Arbeit, mit denen das heutige China und Europa konfrontiert sind: etwa die Ausübung autokratischer Macht, das Verschwinden der chinesischen Kultur- und Materialgeschichte, die Sorge um Menschenrechte, Flucht, harte Arbeit, Armut.
  • Verfolgung und Haft: Ai trat in China als „soziales Gewissen“ auf. Als er nach dem Erdbeben in Sichuan 2008 erkunden wollte, wie viele Kinder in eingestürzten Schulen durch Pfusch am Bau ums Leben kamen, wurde er zur Unperson erklärt, durfte nicht mehr ausstellen, kam zeitweilig in Haft. Als er 2015 endlich ausreisen durfte, war Berlin für ihn der selbstverständliche Zufluchtsort.
  • Werk: Chinas berühmtester Künstler, der heute in England lebt, will Vergessenen und Verfolgten eine Stimme geben. (dms)

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