Jazz and Joy

30. Auflage vom Jazz and Joy in Worms

Von 
Gernot Lahr-Mische
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Die irische Songwriterin Wallis Bird bei ihrem Solokonzert auf dem Jazz & Joy Festival. © Berno Nix

Worms. Es ist alles anders ausgerechnet bei der 30. Auflage des Wormser Festival „Jazz & Joy“. Das, was den atmosphärischen Charakter über all die Jahre ausmachte, das Flanieren von Platz zu Platz, das Verweilen bei einer Vielzahl von Bühnen und Bands, das davor und das danach, das „lange nicht mehr gesehen!" All das, selbst die zauberhaften Orte, wie der malerische Innenhof des Andreasstiftes, oder der Platz vor der Jugendherberge, hat nur auf den ersten Blick eher etwas mit gastronomischem Wohlgefühl als mit Musik zu tun. Und doch hat das eine das andere auf eine fast magische Art befruchtet.

Jazz and Joy in Pandemiezeiten

Und heuer? Ein Rumpf: Zwei Plätze, 19 Acts, Maskenpflicht am Platz, das Switchen zwischen den Konzerten nicht möglich. Die Armada dieser notgedrungenen Maßnahmen mündet im Begriff: Hygienekonzept. Aber es findet statt und bis dato gab es noch keinen einzigen Künstler bzw. Künstlerin, die sich nicht mehrfach bedankten, dass man live spielen kann. Und als vor dem rundum lightshowartig angestrahltem Dom auf der kleinen Bühne am Schloßplatz der wunderbare Melancholiker Niels Frevert die Zeilen „So lebe wohl du rettungslos verlornes Jahr - zieh ein mit dem Flüstern des Flusses - Strömung tief und klar“ singt, ist man doch dankbar, dass das hier, wenn auch reduziert, realisiert wird. Sorgte einen Tag zuvor unter anderem die stets unfassbar gut aufgelegte Formation „LABRASSBANDA“ mit ihrem Bläserstakkato für erhabenes Liveglücksgefühl, so stand dieser Freitag für Songwriting und Pop. Bei dem Hamburger Frevert ist auch Platz „für krumme Gedanken“. Seine faszinierende Songpoesie ist in ihrer Tradition eher rückwärtsgewandt. Der 53 jährige wird nur von einem Pianisten und Gitarristen begleitet und trägt diese hohe Kunst mit der leicht obligaten Lakonie vor, die am Ende leider meist nur im Deutschlandfunk gesendet wird.

Vielfältiges Musikprogramm

Auf dem Weckerlingplatz ist heute der Ort des Edel-Deutschpop und was die äußerst sympathische und stimmlich überzeugende Charlotte Rezbach - alias Lotte - aus Ravensburg da optisch perfekt ausgeleuchtet bietet, ist ein Pop, der absolut Mainstream kompatibel ist. Den fast schon nervigen Trick, nach der Keyboard unterstützten Eingangsstrophe eine halbe Sekunde Stille zu erzeugen, um dann den Refrain wuchtig mit allen hochgeschobenen Reglern rauszufeuern, ist das derzeit wie ein Virus grassierende Stilmittel, das dem nach Internationalität schielenden Deutschpop irgendwann den Garaus machen wird. Dennoch, wenn Lotte diese Beziehungssongs tatsächlich selbst komponiert hat, dann gebührt ihr Respekt.

Kontraste: Auf dem Schloßplatz zerfleddert die irische Songwriterin Wallis Bird bei ihrem Solokonzert, wobei sie im roten Overall bei rot angestrahltem Keyboard wie eine Wiedergängerin der jungen Laurie Anderson aussieht, gleich zwei Mal die Saiten ihrer Gitarre. Sie stampft und wütet sich mit einer beängstigenden Kraft so durch ihr Programm, dass bei aller Fröhlichkeit in ihren Ansagen ihre persönlichen Kämpfe und ihre Zerrissenheit im Dienst des ehrlichen Entertainments nackt und roh hör- und fühlbar werden. In “I am so tired of that line“ fordert sie auf - ganz im lyrischen Geiste von Curtis Mayfield und seinem „People get ready“ - auf den Zug von Freiheit und Gleichberechtigung aufzuspringen, während parallel auf dem Weckerlingplatz der ehemalige ESC Kandidat Michael Schulte mit eindrucksvoller Stimme sein makelloses Pop Oeuvre vorträgt und sich zu einer kleinen Bluesimprovisation und auch zum Urlaubsschlager „Bailando“ hinreißen lässt. Das Publikum erliegt der Stimme und dem Charme von Schulte. Insofern haben die Organisatoren in puncto Ausgewogenheit alles richtig gemacht. Fehlt eigentlich nur noch der Jazz.

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