Schwetzingen. Der britische Premierminister Boris Johnson sieht sich selbst, wie er öffentlich äußerte, in einer Situation wie Othello, der in Shakespeares gleichnamiger Tragödie mit Intrigen, Eifersucht und Neid zu kämpfen hat und am Ende seine Ehefrau und sich selbst tötet.
Angesichts dieses Vergleichs wandte sich der Radio-Sender Deutschlandfunk Kultur an den CDU-Landtagsabgeordneten Andreas Sturm aus dem Wahlkreis Schwetzingen, der in Cambridge studierte, Shakespeare-Experte und Buchautor sowie kulturpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion ist, mit der Frage: „Welche Bühnenfiguren aus der Shakespeare-Welt kommen denn für Boris Johnson in Frage?“
„Shakespeares Figuren haben erstaunliche Parallelen zu Boris Johnson“, meinte Sturm, aber mit Othello habe der Premier nichts gemeinsam: „Bei Shakespeare sind die tragischen Helden immer noble Charaktere, die aufgrund eines tragischen Charakterfehlers fallen – Johnson weiß selbst, dass er kein nobler Charakter ist.“ Vermutlich wählte Johnson den Vergleich, weil dieser einer Intrige seines engsten Untergebenen Iago zum Opfer falle – eine Rolle die Johnson seinem ehemaligen Ratgeber Dominic Cummings zuschreibt.
Ein Mix aus Falstaff und Richard III.
„Für mich ist Johnson eher eine Mischung aus Richard III., Falstaff und Macbeth“, so Sturm. Falstaff als Trunkenbold und Sprücheklopfer würde vom Erscheinungsbild besser passen, so Sturm. „Eigentlich ist Johnson selbst ein Charakter von shakespearschem Ausmaß. Einerseits gibt er sich als sehr belesener und intelligenter Mensch, andererseits aber auch wie Falstaff, als jemand, der aus dem Rahmen fällt.“
Sturm teile die These von Professor Stephen Greenblatt von der Harvard Universität: „Shakespeares Bösewichte sind klug, haben geniale Züge, aber sie überspannen den Bogen und werden unter der Lawine begraben, die sie selbst losgetreten haben.“
Auf die Frage, wie denn – auch bei Shakespeare am Ende – Ordnung im Falle von Johnson aussehen könnte, sagte Sturm: „Normalerweise ist das dann ein Gegenentwurf zu dem, was es gab. Die Tories werden – wenn es keine Neuwahlen geben wird – wohl jemanden nehmen, der verbindlich ist, der eben genau das darstellt, was Boris Johnson nicht ist.“ zg/ras
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/deutschland-welt_artikel,-thema-des-tages-sturm-sieht-in-johnson-keinen-othello-_arid,1971148.html