Wirtschaft

Erfolgreiche Migranten - zwei Gründergeschichten aus Mannheim

Vokabeln pauken, komplizierte Behördengänge, zahlungsunwillige Kunden. Migranten gründen gerne - auch in Mannheim. Zwei von ihnen berichten über ihren zum Teil steinigen Karriere-Weg

Von 
Ilgin Seren Evisen
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Mannheim. Rund um den Marktplatz, in der Marktstraße und in den umliegenden Straßen finden sich immer mehr türkische Geschäfte, Restaurants und ähnliches. Man spricht schon lange von einem Klein-Istanbul oder auch Little Istanbul. Im Bild: Rund um den Marktplatz, in der Marktstraße und in der Breiten Straße und angrenzend ist immer mehr türkisches Flair zu finden. © Christoph Blüthner

Mannheim. Dönerläden, Handyshops und ostasiatisches Fast Food – diese „Klischeegründungen“ sind aus deutschen Metropolen nicht wegzudenken. Die migrantische Ökonomie, wie Gründungen von Migranten genannt werden, sichert zahlreiche Jobs und entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr zu einem Innovationstreiber.

Proportional gesehen gründen Menschen mit Migrationshintergrund sogar öfter als solche ohne. In Mannheim sind nicht nur in „Little Istanbul“ rund um den Marktplatz, also dem internationalen Einkaufsquartier mit Läden aus aller Welt, Erfolgsbeispiele migrantischer Gründungen zu sehen.

Beratungsangebote in Mannheim für migrantische Gründungen

Auch Arztpraxen, Anwaltskanzleien oder Handwerksbetriebe, die Arbeitsplätze sichern, sind von zugewanderten „Neu-Mannheimern“ oder deren Kindern gegründet worden. So stellen das Institut für Mittelstandsforschung (ifm) und die Universität Mannheim in ihrem Bericht zur migrantischen Ökonomie in Deutschland 2019 fest, dass der Rückgang der Gründungen zwischen 2004 und 2019 um mehr als die Hälfte durch Gründungen von Migrantinnen und Migranten kompensiert wird.

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Die Wirtschaftsförderung Mannheims fördert nun seit 23 Jahren die migrantische Gründungsneigung mit Beratungsangeboten wie das langjährige „Profi Mannheim“ Projekt: „Erfolgreiche migrantische Gründungen stärken den Wirtschaftsstandort und bereichern unsere Stadtgesellschaft. Die Wirtschaftsförderung hat sehr früh die Entwicklungspotenziale migrantischer Unternehmenskultur erkannt und unterstützt Beratungs- und Förderangebote Dritter, die an den speziellen Bedarfen von Migranten ausgerichtet sind“, erklärt Sonja Wilkens, die im städtischen Team der Wirtschaftsförderung für Gründungen und Fördermittel zuständig ist.

In anderen Ländern sind Start-ups normaler

Das ausgeprägte Gründungsverhalten von Migranten hat nicht nur mit mangelnden Karriere- und Aufstiegschancen zu tun, sondern auch mit Vorbildern in der migrantischen Gemeinschaft. In ihren Ursprungsländern sind Start-ups Normalität, Gründer genießen ein höheres Ansehen und müssen mit weniger bürokratischen Hürden kämpfen. Die Öffentlichkeit nimmt meist die erwähnten Klischeegründungen wahr – zwei Beispiele aus Mannheim zeigen ein ganz anderes Bild.

Punkt 1 von 2 Ertugrul Samiloglu: "Ununterbrochen gearbeitet und studiert"

Ertugrul Samiloglu, geboren 1959 in der Türkei, ist Inhaber einer Praxis für traditionelle chinesische Medizin in den Mannheimer P-Quadraten. Der gebürtige Ostanatolier wuchs zunächst in Kars nahe der russischen Grenze auf, damals lebten fast 400 Menschen in seinem Dorf. Inzwischen existiert die einstige Heimat von Samiloglu nicht mehr, ein Staudamm zerstörte den Ort seiner Kindheit. Nach dem Abitur in Istanbul verlässt er wie viele junge Türken in den 1970er und 1980er- Jahren die Türkei. „Kurz vor dem Militärputsch in der Türkei landete ich im Alter von 17 Jahren in Deutschland“, beschreibt Samiloglu seine Ankunft. Zwar lebt seine Schwester in Erlangen, doch der Jugendliche beschließt, es alleine zu schaffen.

Medizinstudium in Würzburg

Samiloglu findet einen Deutschkurs: 1,5 Stunden an einem Tag die Woche bekommt er die deutsche Grammatik vermittelt. Den Rest bringt er sich selbst bei und schafft es nebenbei noch, sein Abitur nachzuholen. Mit 18 hat Samiloglu geschafft, wofür viele andere Jahrzehnte brauchen. Er hat das Abitur, kann Deutsch und bekommt einen Studienplatz in Medizin. Sein Studium in Würzburg finanziert er selbst. Das geht nur, weil er alle Jobangebote annimmt und sich für nichts zu schade ist. „Es war eine sehr schwierige und stressige Zeit, ich habe ununterbrochen gearbeitet und studiert“, resümiert Samiloglu die Strapazen seines Studiums.

Der kreative junge Türke gibt in dieser Zeit an den Volkshochschulen der Region Deutsch- und Türkischkurse und verkauft selbstgemalte Bilder. In dieser für ihn herausfordernden Zeit entdeckt er die chinesische Heilmethode Qi-Gong. „Ich bin damals nach Deutschland gekommen, weil ich sehr neugierig bin und eine andere Kultur kennenlernen wollte“, so Samiloglu zu den Gründen seiner Migration. Von der deutschen Ordnung, der Disziplin und der Sauberkeit der Straßen ist der Ostanatolier besonders begeistert. Auch die Herzlichkeit der Bayern und ihre Hilfsbereitschaft haben es ihm angetan.

Ertugrul Samiloglu muss seinen Pass abgeben

Rassismus erlebt er im Alltag nicht, dafür umso mehr bei der Ausländerbehörde. „Ich hatte damals sehr stark den Eindruck, dass uns Migranten von den Mitarbeitern der Ausländerbehörden viele Steine in den Weg gelegt wurden“, beschreibt Samiloglu seine zum Teil traumatisierenden Erlebnisse mit den Behörden. Die negativen Erfahrungen von damals halten ihn nicht von seinem Vorhaben ab: Samiloglu schließt sein Medizinstudium erfolgreich ab und setzt weitere hinzu. In Peking studiert er an der Universität Chinesische Medizin und Qi-Gong. Um eine eigene Praxis gründen zu können, benötigt er eine medizinische Approbation. Allerdings muss er hierfür seine türkische Staatsbürgerschaft aufgeben.

Für Samiloglu, der sich in beiden Ländern wohlfühlt, ist das zuerst eine emotionale Herausforderung. „Es war mehr Zwang als Freiwilligkeit. Nach all den Papieren, die ich abgegeben habe, und der Erfüllung aller Voraussetzungen, musste ich nun auch den türkischen Pass abgeben.“ Auch einen Unternehmenskredit erhielt er trotz vieler Anfragen bei Banken nicht. Dabei war seine Gründung vielversprechend, und er erfüllte alle Voraussetzungen. Nach seinen Praxis-Erfahrungen in bayerischen und hessischen Städten zieht der ostanatolische Bayer nach Mannheim.

Qi-Gong-Zentrum aufbauen

In seinem Praxisalltag widmet sich der engagierte Arzt mit Hilfe chinesischer Medizin seinen Patienten. „Die Selbstständigkeit hat mir ermöglicht, meinen Traum zu verwirklichen. In meiner Praxis kann ich mich ganz ohne Zeitdruck den individuellen Anliegen meiner Patienten widmen“, so Samiloglu. Gemeinsam mit seiner Ehefrau, ebenfalls Medizinerin, möchte der ostanatolische Bayer seine Praxis zum Qi-Gong-Zentrum aufbauen. Den Weg zur Gründung empfand der Neu-Mannheimer zwar als anstrengend, aber lohnenswert: „Ich bin 1980 nach Deutschland gekommen, um eine andere Kultur kennenzulernen. Ich habe hier nicht nur die deutsche Kultur kennengelernt, auch die türkische habe ich hier neu entdeckt.“

 

Punkt 1 von 2 lknur Senol-Baysu: "Einzige, was wir immer mitnehmen konnten, ist Bildung“

Die Familiengeschichte von Ilknur Senol-Baysu ist von vielen Migrationsbewegungen geprägt. Schon ihre Urgroßmutter lebt 1944 in Deutschland, wohin sie als Krim-Tatarin geflüchtet ist. Der Vater, inzwischen 89 Jahre alt, migriert 1952 mit 16 in die Türkei. Doch die Sehnsucht nach der deutschen Heimat ist größer als die Neugier auf die Heimat seiner Vorfahren. Er kehrt zurück und heiratet. 1966 kommt Ilknur Senol-Baysu in Heidelberg auf die Welt, als Kind einer krim-tatarischen Familie, die Migration und den Neuanfang in einem fremden Land gewöhnt ist. Deutsch, Krim-Tatarisch, Russisch und Türkisch. Senol-Baysu bringt aus jeder Migration ihrer Vorfahren eine Sprache mit und findet sich in vielen Kulturen zurecht.

Senol-Baysu eröffnet türkische Anwaltskanzlei

„Krim-Tataren sind bekannt für ihren Ehrgeiz, Fleiß und ihre hohe Arbeitsmoral“, beschreibt die Heidelbergerin ihre Familie. „Wir sind so oft migriert und haben so oft von vorne angefangen. Das einzige, was wir immer mitnehmen konnten, ist Bildung. Die kann dir keiner nehmen“, diese Weisheit ihrer Großmutter begleitet Senol-Baysus Bildungsweg. Sie wird die erste türkischstämmige Abiturientin eines Eppelheimer Gymnasiums und eignet sich durch die Lektüre von Weltliteratur ein akademisches Deutsch an. „Meine Eltern haben sehr viel Wert auf meine Ausbildung gelegt, aber sie waren einfache Handwerker und konnten mich natürlich nur bedingt unterstützen“, resümiert Senol-Baysu die Unterstützung ihrer Familie.

Anders als für Nicht-Migranten ist es für sie zu Beginn des Studiums nicht einfach, Texte auf hohem akademischen Niveau zu verstehen. Doch die ehrgeizige junge Frau lässt sich von wissenschaftlichen Texten nicht abschrecken: Sie studiert Philosophie, Romanistik und türkische Linguistik. „Ich habe den Eindruck, dass Migranten insgesamt ehrgeiziger sind, denn sie wollen es den anderen zeigen und sich beweisen und wissen, dass sie mehr leisten müssen“, so Senol-Baysu. Ihr Ehrgeiz zahlt sich aus: Nach ihrem Jura-Studium in Mannheim und Heidelberg eröffnet die junge Frau 1995 die erste türkische Anwaltskanzlei der Region.

Problem: Viele Mandanten zahlen Rechnung nicht

Schon am ersten Tag ihrer Selbstständigkeit erhält sie mehr als zehn Mandatsanfragen, die Nachfrage nach ihren juristischen Diensten hält bis heute ungebremst an. Auch internationale Jobangebote und regionale Karriereoptionen werden der jungen Juristin offeriert, doch Senol-Baysu bleibt ihrer Kanzlei in den C-Quadraten treu. „Ich war damals die erste türkischsprachige Anwältin der Region. Vor allem die Generation der ersten türkischen Arbeitsmigranten brauchte dringend meine Hilfe. Ich wollte für diese Menschen stark sein, sie unterstützen“, erklärt Senol-Baysu ihre Leidenschaft für ihren Beruf.

Die junge Anwältin macht in ihrem Kanzlei-Alltag auch negative Erfahrungen. Viele Mandanten zahlen ihre Rechnungen nicht, sie bleibt auf den Kosten sitzen. Trotz dieser enttäuschenden Erlebnisse setzt sie ihren Einsatz für ihre Mandanten fort. Inzwischen zählen zu ihren Mandanten auch deren Kinder und Enkel sowie viele Nicht-Migranten der Region, die von den Erfolgen der Anwältin gehört haben. Die Selbstständigkeit empfiehlt Senol-Baysu nicht jedem, viel Freizeit hat sie für den Aufbau ihrer gut funktionierenden Kanzlei aufgegeben, viele Wochenenden geopfert.

Das rät Senol-Baysu jüngeren Migranten

Senol-Baysu blickt auf fast 30 erfolgreiche Jahre zurück, in denen sie zahlreiche Auszubildende sowie Anwälte angelernt und auf ihrem beruflichen Weg unterstützt hat. Den Gründungsinteressierten jüngeren Migranten gibt sie mehrere Ratschläge mit: Ehrlichkeit, Authentizität, Perfektion und eine kritische Selbstreflexion. „Wer diese Eigenschaften mitbringt oder entwickelt, befindet sich auf einem guten Weg und wird Erfolg haben.“ Ihre eigene Migrationsgeschichte empfindet Senol-Baysu rückblickend nicht als Hemmnis auf dem Weg zu beruflichem Erfolg. „Die vielen Ressourcen, die meine Eltern mir durch unsere vielfältigen Migrationserfahrungen und ihren Arbeitsethos mitgegeben haben, haben mich gestärkt, und ihnen verdanke ich meinen Ehrgeiz“, erklärt sie.

 

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