Tiefer gehende Analysen fallen noch schwer und Kinderkrankheiten gibt es auch. Trotzdem darf an dieser Stelle mal sehr positiv angemerkt werden, dass es seit genau zwei Monaten ein digital erwerbbares und deutschlandweit geltendes Zugticket gibt, dessen Tarif für jeden und jede sehr einfach zu verstehen ist.
Es kostet einfach 49 Euro - für mache gar weniger. Das war politisch gewollt und es wurde auch schneller umgesetzt, als man das gemeinhin erwarten konnte. Nun stellen auch die Verkehrsverbünde steigende Nutzungszahlen fest. Zehn Prozent Zuwachs bei den Abos im VRN - auch ein Verdienst des ansonsten oft zurecht gerügten Bundesverkehrsministers Volker Wissing (FDP). Es gibt es also wirklich - dieses vielfach ironisch verwendete Deutschlandtempo.
Uns fehlt manchmal der Mut
Wir in Deutschland sind sehr gut im Lamento und im Motzen über alles Mögliche. Berufspessimisten und Reichsbedenkenträger bestärken sich gegenseitig, statt in Veränderungen Chancen zu erkennen. Wir klagen oft die Politik und vor allem die Politiker als womöglich unfähig an, weil die nicht dafür gesorgt haben, dass wir in Sachen Digitalisierung so weit sind wie beispielsweise Estland.
Mag ja sein, dass das ein kleiner Teil der Wahrheit ist. Vielleicht liegt das aber gar nicht immer nur an der „bösen“ Politik, sondern vielleicht liegt das an einer gewissen Sattheit und Trägheit, die uns als Bevölkerung befallen zu haben scheint. Uns sind an vielen Stellen Geschwindigkeit und Mut abhanden gekommen.
Noch zu viel Skepsis
Wo sind denn die ganzen Digitalisierer, wenn beim Kauf eines Deutschlandtickets insgesamt immer noch 50 Prozent auf Chipkarten und Papier setzen, obwohl der Abo-Fahrschein viel unkomplizierter auf dem meistens ohnehin in Benutzung befindlichen Smartphone gespeichert werden könnte. Daran lässt sich vielleicht einiges ablesen. Da regen sich alle immer über ein Zuviel an Bürokratie auf und an der Stelle, an der man sie verhindern könnte, wollen sie dann doch diese nur vermeintlich größere Sicherheit in Händen halten.
Es ist dies - zugegebenermaßen - nur ein kleines Beispiel dafür, wie sehr auch in der Breite der Bevölkerung eine kritische Haltung gegenüber allem, was neu und fremd ist, vorherrscht. Sind wir alle so alt geworden, dass wir die Tradition über die Neugierde stellen? VRN-Geschäftsführer Michael Winnes erwähnte es am Donnerstag fast nur beiläufig, aber eigentlich verdient seine Aussage mehr Aufmerksamkeit, wenn er behauptet, dass es in unserer Gesellschaft insgesamt viele Vorbehalte gebe. Zu viele wahrscheinlich.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Digitalisierung beim Deutschlandticket: Zu viele Vorbehalte und Ängste
MM-Redakteur Stephan Alfter über Bürokratismus, der nicht aus der Politik, sondern aus der Bevölkerung kommt. Es geht um das Deutschlandticket, das nur 50 Prozent auf ihrem Smartphone speichern