Die Not und die Tugend

Ralf-Carl Langhals zum Spielplan des Nationaltheaters

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Ralf-Carl Langhals
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Bis das Mannheimer Schauspiel Komödie spielt, muss unter Intendant Christian Holtzhauer viel passieren. Und es passiert viel. Viel Ungewissheit. Kommt genug Baumaterial? Können Termine an den Ersatzspielstätten gehalten werden? Nimmt das Publikum die Einladung „Wir ziehen mit Euch um die Häuser“ an? Kommt im Herbst eine neue Corona-Welle? Planen ist derzeit schwierig – für alle. Und deshalb ist plötzlich möglich, was seit 2018 nicht möglich war. Auf dem Schauspielprogramm stehen Büchner, Brecht und Goldoni – Autoren und Stücke, keine Romane, Thesenpapiere oder kollektive Stückentwicklungen. Tanzintendant Thoss zeigt ein heiteres Handlungsballett. Manchmal formt die Not die Tugend und die Nachfrage das Angebot. Auch Opernintendant Albrecht Puhlmann geht nun zumindest anfangs einen leichtfüßigen Weg mit Familienstücken oder Arien auf der Seebühne. Das ist nach den zahlreichen „Whitewall“- und anderen progressiven Projekten erstaunlich blass, zeigt aber eines: Dass man angesichts der Großbaustelle und der Fülle der damit verbundenen Risiken vorsichtiger wird – und hoffentlich auch das eigene Selbstverständnis hinterfragt: 250 Millionen hier, 33 Millionen da – dem Bürger kann schwindelig werden bei solchen Summen. Angesichts der politischen und ökonomischen Lage kommen manche längst genehmigte Großprojekte – siehe Staatsopernsanierung Stuttgart – erneut auf den Prüfstand. Mit ihnen steht dort auch der Kunst-Anspruch einer gesellschaftlichen Repräsentanz. Gemeinschaftsausgaben in diesem Umfang sind es nur wert, wenn sich auch ein erheblicher Teil der Bevölkerung mit seiner Lebenswirklichkeit – und auch seinem Unterhaltungsanspruch – am Stadttheater wiederfindet. Spät kommt dem Intendantenquintett diese programmatische Einsicht, doch besser spät als nie. Geht auch nur ein Drittel des Publikums den Weg „um die Häuser“ nicht mit, steht es 2027 schlecht um „unser Nationaltheater“, das es wieder werden muss.

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Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.