Energie

Mannheimer Gas-Aus: Das sagen die Experten

Darf die MVV das Mannheimer Gasnetz bis 2035 überhaupt stilllegen? Gibt es Entschädigungen? Und machen andere Großstädte das auch? Hier sind die Antworten von Fachfrauen und -männern

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Martin Geiger
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Weil das komplette Gasnetz in Mannheim bis 2035 stillgelegt werden soll, funktionieren Gasheizungen dann nicht mehr. © dpa

Mannheim. Dass die MVV bis 2035 das komplette Erdgas-Verteilnetz in Mannheim stilllegen will, hat große Diskussionen ausgelöst. Schließlich bedeutet dies das Aus für die derzeit noch knapp 25 000 Gasheizungen in der Stadt. Das wirft etliche Fragen auf - die Fachleute beantworten.

Gibt es in irgendeiner anderen Großstadt in Deutschland vergleichbare Pläne?

Jein. In Stuttgart gab es vor kurzem ebenfalls Diskussionen, nachdem ein Vertreter der Stadt angekündigt hatte, dass das dortige Gasnetz aus Klimaschutzgründen ebenfalls bis 2035 stillgelegt werden soll. In Augsburg war das Thema bereits im Frühjahr aufgekommen, weil die Stadtwerke einigen Großkunden mitgeteilt hatten, dass in bestimmten Gebieten mittelfristig das Gas- durch ein Fernwärmenetz ersetzt werden soll. So klar und eindeutig wie in Mannheim ist die Stilllegung eines kompletten Netzes bislang jedoch noch nirgends angekündigt worden.

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Darf ein Betreiber das Gasnetz einfach stilllegen?

Nein. „Die Netzbetreiber sind grundsätzlich zum Netzbetrieb und Netzanschluss verpflichtet“, erklärt Matthias Bauer von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Das betont auch die Bundesnetzagentur: „Für den jeweiligen örtlichen Grundversorger besteht eine Pflicht zur Belieferung von Haushaltskunden mit Erdgas, die der Grundversorgung beim Strom entspricht.“ Allerdings gebe es eine Ausnahme: „Dieser Anspruch erlischt, wenn dem Grundversorger eine Belieferung von Kunden mit Erdgas unzumutbar wird.“

Was bedeutet in diesem Zusammenhang „unzumutbar“?

Gemeint ist damit: wirtschaftlich unzumutbar, führt ein Sprecher des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) aus: „Er kann es dann ganz oder teilweise stilllegen, wenn der weitere Betrieb für ihn wirtschaftlich nicht mehr zumutbar ist, weil nur noch wenige oder kaum noch Kunden an das Verteilnetz angeschlossen sind und daher die Kosten für den weiteren Netzbetrieb in einem wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren Missverhältnis zu den Erlösen (Netzentgelten) stehen.“

Wird es größere Veränderungen bei den Gasnetzen geben?

Ja, das erwarten alle Expertinnen und Experten einhellig. Denn spätestens 2045, wenn Deutschland klimaneutral sein will, soll Erdgas beim Heizen keine Rolle mehr spielen. Darum wird damit gerechnet, dass der Verbrauch mittelfristig deutlich sinkt und die Netze in ihrer heutigen Form nicht mehr vollständig benötigt werden.

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Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), erklärt den anstehenden Umbau so: „Bei der Transformation gibt es im Kern drei Optionen: Wo kann man das bestehende Netz künftig für Wasserstoff oder Biomethan nutzen? An welchen Stellen werden die Netzbetreiber es stilllegen müssen? Und wo ist der Bau neuer Leitungen erforderlich? Diese Entscheidungen müssen in den kommenden Jahren getroffen werden.“

Ist dieser Umbau der Netze schon in die Wege geleitet?

Der Startschuss ist längst gefallen, derzeit wird auf mehreren Ebenen daran gearbeitet. Eine wichtige Wegmarke ist die europäische Gas-/Wasserstoff-Binnenmarktrichtlinie: Laut Bundesnetzagentur sieht sie vor, „dass Stilllegungen im Rahmen eines von der zuständigen Regulierungsbehörde genehmigten Stilllegungsplans erfolgen und Verbraucherrechte gewährleistet werden müssen“. Allerdings ist diese Richtlinie noch nicht in deutsches Recht überführt worden. Das bedeutet: Die Details sind offen.

Gibt es Entschädigungen, wenn ich eine funktionierende Anlage austauschen muss, weil ich kein Gas mehr bekomme?

Nein, meint der VKU-Sprecher: „Nach der geltenden Rechtslage besteht keine Entschädigungspflicht des Netzbetreibers, wenn er wegen wirtschaftlicher Unzumutbarkeit des weiteren Betriebs ein Gasverteilnetz insgesamt oder teilweise stilllegt und zulässigerweise die Netzanschlussverträge kündigt.“ MVV-Chef Georg Müller sagt dazu: „Das muss der Gesetzgeber regeln.“

Kann man die knapp 25 000 Gasheizungen in Mannheim in zehn Jahren austauschen?

Norbert Ufer, der Obermeister der Innung für Sanitär, Heizung und Klima Rhein-Neckar, hält das für „sehr ambitioniert“. Auch ein Vertreter des Vereins „Zukunft Gas“ – eine Interessenvertretung der Gas- und Wasserstoffwirtschaft – sieht dies als „erhebliche Herausforderung“ und verlangt: „Hier sind umfangreiche Fördermaßnahmen sowie ein politisch stabiler Rahmen unabdingbar, um eine sozialverträgliche Umsetzung zu ermöglichen.“

Was gilt es noch zu bedenken?

Das Gasnetz ist nicht nur zum Heizen da, sondern auch für Gewerbe- und Industriebetriebe wichtig: „Deren Versorgung mit Prozesswärme ist nicht in jedem Fall mit Elektrizität oder Fernwärme wirtschaftlich möglich“, betont eine Sprecherin des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW). „Sie sind daher auf die Versorgung mit künftig klimaneutralen Gasen als Energie für ihre Produktionsprozesse angewiesen.“

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Redaktion Reporter für das Ressort "Mannheim".

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