Mannheim. „Sensationell“ oder „Wahnsinn“. Immer wieder sind diese Worte zu hören, staunende und bewundernde Blicke zu sehen bei diesem Rundgang. 25 „MM“-Leser, ausgelost aus zahlreichen Anmeldungen, dürfen ihn mit Marcus Augsburger machen. Der Technische Betriebsleiter des Nationaltheaters führt zweieinhalb Stunden und damit viel länger als geplant über die Baustelle der Generalsanierung – von tief unten im Bunker unter dem Spielhaus bis hinauf in den und auf das Dach neben dem Bühnenturm. Und danach lobt Roswitha Herpel ihn bewundernd: „Dieser Mann lebt für diese Baustelle!“
Zunächst begrüßt Tilmann Pröllochs, der Geschäftsführende Intendant, die Gäste – alle mit Handschlag. Denn er ist froh für jede Gelegenheit, dieses Mammutprojekt zu erklären. Denn ohne die Generalsanierung, so macht er deutlich, hätte das 1957 eröffnete Haus am Goetheplatz längst die Betriebserlaubnis verloren. Zu groß seien die Verstöße gegen heutige Arbeitsschutz- und Brandschutzvorschriften gewesen. Zwar habe man zunächst auch einen Neubau geprüft, aber den hätte man an ganz anderer Stelle errichten müssen – denn das Theater steht unter Denkmalschutz, muss in jedem Fall erhalten bleiben. „Und dann ist es doch nachhaltiger, es zu sanieren“, so Pröllochs, denn ein Neubau müsse heute wegen neuer Arbeitsplatz-Vorgaben um ein Drittel größer sein. Der Denkmalschutz helfe sehr, dass viele alte Proportionen bewahrt werden dürfen.
Dicke Bunkerwände werden mit Diamant durchgesägt
Aber das Theater von heute hat ein Drittel mehr Mitarbeiter als in den 1950er Jahren, als der Neubau geplant wurde. Zuletzt hätten sich vier Leute in einem Büro von zwölf Quadratmetern gedrängt, erzählt Augsburger. Und im Orchesterprobensaal bis zu 200 Musiker und Sänger, weshalb sie nur mit Ohrstöpseln proben konnten, so hoch sei der Schalldruck gewesen.
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Weil aber der gesamte Goetheplatz unter Ensembleschutz steht, wird unterirdisch erweitert. Da führt Augsburger, Architekt und früher bei der Stadt tätig, die Gruppe hin. „Sie sind auf einer Baustelle – Vorsicht, wo Sie hintreten“ warnt er zunächst, dann zwischendurch „Achtung Kabel!“ oder „Vorsicht, Kopf einziehen!“ Aber er zeige gerne alles. „Wir haben keine Geheimnisse!“ Zum Glück tragen alle Teilnehmer Helme und Warnwesten, denn es wird während der Führung überall weiter gearbeitet, gebaggert, gehämmert, gebohrt, wo auch immer die Gruppe der „MM“-Leser läuft.
„Ob da der eine weiß, was der andere tut“ oder „Ob da noch einer durchblickt?“ rätselt so mancher Teilnehmer des Rundgangs. Aber Augsburger versteht es gut, diese Bedenken zu zerstreuen, indem er engagiert an jeder Ecke bis ins kleinste Detail über die Herausforderungen der kniffligen Baustelle informieren kann, von schwieriger Wärmedämmung und Klimatisierung bis zum alten Bunker – wo das Durchsägen einer der dicken Betonwände mit einer Diamantsäge schon mal drei Wochen dauert.
Großer Aufwand für Brandschutz und Denkmalschutz
„Die komplizierteste Stelle“ ist laut Augsburger der künftige Orchesterprobensaal, der unterirdisch unter dem östlichen Gebäudeteil des Nationaltheaters entsteht. Der Aushub ist fast beendet, das ganze Opernhaus ruht auf zwei provisorischen Lasttürmen und per Laser wird rund um die Uhr gemessen, dass die Konstruktion hält. „Das Gebäude darf sich nicht absenken – bisher hat es gut funktioniert“, so Augsburger erleichtert.
Ebenso gut funktioniert hat die Suche nach Kampfmitteln aus dem Zweiten Weltkrieg – gut insofern, dass bis auf Munition und Stabbrandbomben keine Sprengmittel gefunden worden sind. In diesem Fall würde nämlich die Evakuierung der nahe gelegenen Krankenhäuser drohen. Um das zu verhindern und eine eventuelle Druckwelle abzubremsen, stehen – ständig abrufbar – 40 große Container bereit, die im Notfall gefüllt und aufgeschichtet würden. „Was für ein Aufwand“, entfährt es da einer Frau erstaunt. Und dieser Aufwand ist überall groß – sei es durch plötzlich auftretende Schadstoffe oder Auflagen des Brand- und Denkmalschutzes.
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Zwei Beispiele liefert Augsburger dafür im Opernhaus. Weil sich in den Öffnungen der Lüftung unter den Sitzen Eternit und damit (wenn auch verkapselt) Asbest befunden hat, waren hier über 1800 einzelne Bohrungen nötig, um überall dieses belastete Stück herauszuholen. Alle Brüstungen von Balkonen und Empore müssen entfernt, aber originalgetreu nachgebaut werden. „Derzeit sind sie aus Plexiglas und würde bei einem Brand schmelzen und heiß auf die Menschen herabtropfen“, so Marcus Augsburger, also müsse man neues, nicht brennbares Material einbauen – aber eben in originalgetreuem Aussehen.
Ein Einsehen habe die Denkmalschutzbehörde bei der Holzvertäfelung gehabt. Tatsächlich ist es keine Holzvertäfelung, sondern eine dünne Furniertapete. „Ein Novum, das gibt es in keinem Gebäude“, begründet Augsburger die hohe Bedeutung. Aber die Tapete löst sich. Eine Testfläche habe gezeigt, dass die Sanierung von knapp sechs Quadratmetern sechs Wochen dauert – und damit zu lange und zu teuer ist. Jetzt wird über der alten Schicht, die im Original erhalten bleibt, einfach eine neue Holzschicht aufgebracht.
Ob bei all dem der Zeitplan zu halten ist – diese Frage kommt immer öfter, je länger der Rundgang geht. Augsburger bekräftigt aber, dass es bei 2028 bleiben soll – zur 250. Spielzeit wolle das Nationaltheater an den Goetheplatz zurückkehren. Vorsichtiger äußert er sich bei den Kosten. 248 Millionen (einschließlich 120 von Bund und Land) habe der Gemeinderat bewilligt – vor fünf Jahren, also vor Corona, Ukraine-Krieg, Baukostensteigerung, Schadstofffunden. „Ich kann nicht sagen, wo wir landen, sondern nur, dass wir definitiv drüber sein werden“, sagt Marcus Augsburger.
„Jetzt kann ich viele Dinge besser nachvollziehen
„Aber jetzt weiß man, wo die Millionen reingehen“, äußert Erwin Demel nach der Führung Verständnis. „Ich hätte das nicht so erwartet“, sagt er und ist „froh, dass ich die Führung mitgemacht habe“. Schließlich werde das Theater „ja total entkernt, das hätte ich nicht gedacht“. Die Eindrücke seien „echt sensationell“.
Auch Hans Leis staunt: „Hier ist ja alles entkernt – so hätte ich mir das nicht vorgestellt“. „Sehr, sehr interessant“, sagt Edmund Herpel nach dem Rundgang: „Jetzt kann ich viele Dinge besser nachvollziehen“, findet er. „Was für ein riesiger Aufwand“, staunt auch Michael Berkmann: „Würde mich nicht wundern, wenn das noch Jahre dauert“, meint er. Beeindruckt ist auch Stefan Gutjahr: „Hochinteressant, total spektakulär“ findet er die Baustelle: „Man hat ja von Außen keine Vorstellung davon, dass alles entkernt ist, jetzt versteht man vieles mehr“, sagt er. „Völlig begeistert“ von der Führung zeigt sich Marion Nürnberger-Russow: Und sie äußert „Riesenrespekt vor der Leistung“ der Bauleute.
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