Gesundheit

Rhein-Neckar-Kreis: Chemikalie Bisphenol A in immer mehr Wasserleitungen

Die krebserregende Chemikalie Bisphenol A ist in weiteren Wohnkomplexen in Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis entdeckt worden. Eine Hausverwalterin klagt: Bewohner ignorieren das Konsumverbot von warmem Leitungswasser

Von 
Bernhard Zinke
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Ein Mitarbeiter einer Haustechnik-Firma zeigt ein altes (links) und ein mit Epoxidharz saniertes Rohr einer Trinkwasserleitung. Die Gefahr ist unsichtbar. © dpa

Heidelberg. Im Rhein-Neckar-Kreis werden immer mehr große Wohngebäudekomplexe entdeckt, in denen warmes Trinkwasser aus der Leitung kommt, das hochgradig mit krebserregenden Substanzen belastet ist. Sechs Wohnkomplexe hat das Gesundheitsamt des Rhein-Neckar-Kreises in diesem Jahr neu ins Visier genommen, wie Stefan Kramer, Referatsleiter für den technischen Gesundheitsschutz beim Gesundheitsamt des Kreises auf Anfrage sagt. Zwei Häuser sind in Heidelberg betroffen, je eines in Hockenheim, Brühl, Leimen und Eppelheim. Das Gesundheitsamt schätzt, dass Hunderte Gebäude im Kreis betroffen sein könnten. Viele davon sind noch unentdeckt. Es handelt sich um ein bundesweites Phänomen.

Wie das Kreisgesundheitsamt bereits im vergangenen November informiert hatte, handelt es sich um Häuser vornehmlich aus den 1970 und 1980er Jahren, deren verrostete Stahlrohrleitungen mit Epoxidharz ausgekleidet wurden. Was sich vor zehn bis 20 Jahren als kostengünstige Alternative zum Rohraustausch darstellte, entpuppt sich jetzt als große Gefahr für die Gesundheit der Bewohner: Das Epoxidharz schwemmt mit den Jahren immer größere Mengen der Chemikalie Bisphenol A (BPA) aus den Leitungen. Betroffen sind aussschließlich die Warmwasserleitungen. Der Genuss von kaltem Wasser ist dagegen nach Angaben der Gesundheitsbehörden vollkommen unbedenklich.

Der Grenzwert für BPA wurde aufgrund der Gefährlichkeit des Stoffes im Januar auf 2,5 Mikrogramm pro Liter Wasser herabgesetzt. Bei Proben entdeckten die Labors Werte von bis zu 300 Mikrogramm, also mehr als das Hundertfache. Das ebenfalls zuständige Chemische und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) des Landes Baden-Württemberg berichtet von Spitzenwerten von 200 Mikrogramm. „Die Konzentrationen sind dabei so hoch, dass sie auch aus toxikologischer Sicht relevant sind“, heißt es in aller Deutlichkeit in einem Bericht des CVUA.

Überschreitung um Hundertfaches

Das Verfahren der so genannten Inlinersanierung - die Rohre werden von innen mit dem Epoxidharz ausgekleidet - war vor allem in den Jahren 2000 bis 2015 angesagt. Die Art der Sanierung ist immer noch nicht verboten und wird auch heute noch von Sanitärfirmen beworben.

Mittlerweile hat das Kreisgesundheitsamt bei zwölf betroffenen Häusern ein Konsumverbot für warmes Leitungswasser verhängt und den Austausch der Leitungen angeordnet. Allerdings: Die Bewohner der Häuser interessiert das Konsumverbot schlicht und ergreifend nicht, wie die Mitarbeiterin der Hausverwaltung von mehreren betroffenen Wohnkomplexen im Gespräch mit dieser Zeitung berichtet.

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Der Grenzwert in einem Gebäude in der Heidelberger Innenstadt sei um das 90-Fache überschritten worden. Die Wohnungsinhaber hätten alle Untersuchungsergebnisse erhalten, inklusive eines Informationsschreibens über die Gesundheitsgefahren, die von BPA sowohl für Kinder als auch für Erwachsene ausgehen - mit ernüchternder Resonanz. „Die Leute begreifen den Ernst der Lage nicht“, sagt die Verwalterin. Das Konsumverbot werde in den allermeisten Fällen schlicht ignoriert, „es interessiert die Leute schlicht nicht, dass sie von ihrem warmen Trinkwasser Leberkrebs bekommen können. Hinzu kommt nach Darstellung der erfahrenen Verwalterin, dass das umstrittene Sanierungsverfahren auch noch die Legionellenbildung begünstigt. Schließlich komme das Epoxidharz nicht überall in den verwinkelten Rohrleitungen eines Hauses in ausreichendem Maße hin. „Wo sich das Harz ablöst, bildet sich der ideale Nährboden für Legionellen“, sagt die Frau.

Zeitvorgaben nicht zu halten

Ein Problem ist außerdem, dass viele Wohnungseigentümergemeinschaften schlicht nicht genügend Rücklagen für die teure Sanierung gebildet haben. Jetzt räche sich, dass vielfach die Rücklagen so gering wie möglich gehalten und Gelder auf Wunsch der Wohnungseigentümer lieber ausbezahlt worden seien. Und vielfach seien die Bewohner auch nicht in der Lage, Geld für die aufwendige Sanierung aufzubringen. In dem Heidelberger Haus mit seinen 90 Wohneinheiten koste der Leitungsaustausch mehr als vier Millionen Euro. In Hockenheim, wo die Gesellschaft ein weiteres Mehrparteienhaus mit 40 Wohneinheiten verwaltet, summieren sich die Kosten der Leitungssanierung auf rund eine Million.

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Hinzu kommt, dass es kaum Handwerker gibt, die einen Austausch von Leitungen in dem erforderlichen großen Stil überhaupt leisten können. „Wenn ich die Leistung ausschreibe und zehn Firmen um ein Angebot bitte, kommen vielleicht ein bis zwei zurück“, beschreibt die Verwalterin das Dilemma. Angesichts dieser Rahmenbedingungen seien die Zeitvorgaben des Kreisgesundheitsamtes schlicht nicht zu halten. Bei dem Heidelberger Objekt habe der Kreis den Austausch der Leitungen am 18. Juli 2022 angeordnet. Das müsse laut Verfügung bis 31. März dieses Jahres erledigt sein. „Das ist gar nicht zu schaffen“, sagt die Verwalterin. Es brauche mindestens zwei bis drei Jahre, um den Schaden zu beheben.

MVV hat auf die Problematik reagiert

Ans Tageslicht kommt indessen nur die Belastung in große Wohngebäudekomplexen. Denn nur für diese sei das Gesundheitsamt zuständig, erläutert Stefan Kramer. Wieviele Privathäuser betroffen sein könnten, vermag er nicht zu sagen. Aber auch dort war die Sanierung der Stahlrohrleitungen mit Epoxidharz vor Jahren gängiges Verfahren. Hier biete letztlich nur eine Analyse des warmen Trinkwassers durch ein zertifiziertes Labor Klarheit. Untersuchungen bieten unter anderem die Labore der Unikliniken in Mannheim und Heidelberg.

Das Mannheimer Versorgungsunternehmen MVV hat mittlerweile auf die gesundheitsgefährdende Problematik reagiert. Auf einem Merkblatt zur Rohrinnensanierung steht unmissverständlich geschrieben: „Epoxidharzverfahren und Keramik-Komposit-Verfahren dürfen im Versorgungsgebiet von MVV Energie nicht angewendet werden.“

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