Rhein-Neckar. Die Zahlen sind alarmierend: Möglicherweise in einer dreistelligen Anzahl von großen Mietshäusern in Heidelberg und im Rhein-Neckar-Kreis könnte das Trinkwasser belastet sein. Betroffen wären demnach Tausende von Bewohnern.
Zwölf Gebäude hat das Gesundheitsamt des Kreises unter Beobachtung. Die Grenzwerte für die Chemikalie Bisphenol A sind zum Teil um das Hundertfache überschritten. In der ab Januar geltenden Trinkwasserschutzverordnung ist die Chemikalie aufgenommen.
Es gilt ein Grenzwert von 2,5 Mikrogramm pro Liter. Gemessen wurden bis zu 300 Mikrogramm. In einem Mietshaus mit 54 Parteien in Oftersheim hat der Rhein-Neckar-Kreis schon die Reißleine gezogen, ein Konsumverbot für warmes Leitungswasser verhängt und einen Austausch der Leitungen angeordnet.
Welche Häuser sind von der Trinkwasserbelastung betroffen?
„Wir wissen nicht genau, wie viele Gebäude betroffen sein könnten“, sagt Stefan Kramer, Leiter der Referats für technischen Gesundheitsschutz im Kreisgesundheitsamt. Aber rund um Heidelberg könnten sehr viele Wohnsiedlungen betroffen sein. Konkret geht es um Gebäude, die etwa zwischen 1970 und 1980 gebaut worden sind.
Weitere Informationen zu Bisphenol A
Was ist Bisphenol A?
Bisphenol A ist eine Chemikalie, die häufig als Komponente in Klebstoffen, Lacken oder Kunstharzen (sogenannte Epoxidharze) verwendet wird.
Wie funktioniert die Epoxidsanierung von Trinkwasserleitungen?
Bei der Epoxidsanierung von Trinkwasserleitungen werden die Komponenten, üblicherweise bestehend aus Bisphenol A und Epichlorhydrin, nach dem Entleeren, Trocknen und Sandstrahlen der Leitungen in die Trinkwasserinstallation gedrückt. Die Leitungen werden so von innen mit Epoxidharz beschichtet. Daher wird das Verfahren auch als Innenrohrsanierung bezeichnet. Nach dem Aushärten des Harzes wird die Trinkwasserleitung wieder befüllt.
Warum ist die Aufnahme von Bisphenol A gesundheitlich bedenklich?
Bisphenol A hat eine hormonähnliche Wirkung und steht darüber hinaus im Verdacht, Krebs zu erregen. Aufgrund dessen wurde zunächst in der europäischen Trinkwasser-Richtlinie, aber seit Juni 2023 auch in der Trinkwasserverordnung ein Grenzwert festgelegt, der ab Januar 2024 einzuhalten ist.
Verarbeitet wurden für die Warmwasserversorgung verzinkte Stahlleitungen. Da dieses Material sich aber nicht als dauerhaft beständig erwies, waren nach 20 bis 30 Jahren Sanierungen fällig. In vielen Fällen wählten die Eigentümergemeinschaften die kostengünstige Variante: Die Rohre wurden von innen mit Epoxidharz beschichtet - eine Sanierungsweise, die übrigens bis heute nicht verboten ist.
Mit der Zeit hat sich nun in entsprechenden Forschungen - auch unter Federführung des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamts Stuttgart - gezeigt, dass sich die Chemikalie Bisphenol A aus dem Epoxidharz herauslöst, vermutlich durch den dauerhaften Durchfluss von warmem bis heißem Wasser.
Wie wirkt die Chemikalie auf den menschlichen Körper?
Bisphenol A gilt als krebserregend, wirkt im Körper wie ein Hormon, kann in Entwicklungsphasen von Kindern Schäden anrichten, die Geschlechtsentwicklung stören und eine Zeugungsunfähigkeit hervorrufen. Zudem kann Bisphenol A schädigend auf Leber, Niere und Brustdrüse wirken. Nicht zuletzt deshalb wurde der Grenzwert von 2,5 Mikrogramm pro Liter in der deutschen Trinkwasserverordnung festgelegt.
Sind nur Mietshäuser oder auch private Ein- und Zweifamilienhäuser betroffen?
Das kann Stefan Kramer nicht sagen. Das Gesundheitsamt ist nur zuständig für gewerbliche Gebäude, also Mietshäuser. Die Sanierung von Trinkwasserleitungen in Ein- oder Zweifamilienhäusern sei immer Privatsache der Hauseigentümer.
Was ist zu tun, wenn eine Belastung des Trinkwassers mit Bisphenol A bekannt wird?
Es gilt ein sofortiges Konsumverbot von warmem Wasser. In den Kaltwasserleitungen wurden bislang keine erhöhten Bisphenol A-Werte festgestellt. Duschen mit dem warmen Wasser sei unproblematisch, sagt Stefan Kramer. Es dürfe nur nicht getrunken oder für die Zubereitung von Speisen verwendet werden. Nudel und Teewasser aus der Kaltleitung auf dem Herd zu erhitzen sei unbedenklich.
Es müssen aber alle Warmwasserleitungen ausgetauscht werden, besagt die Verfügung des Rhein-Neckar-Kreises. Dann können sich die Mieter auf lange Sanierungsphasen einstellen. Da vor allem Mietshäuser mit Dutzenden von Wohnungen betroffen sind, dürfte der Schaden jeweils in die Millionen gehen. Betroffene einer Wohnung in Oftersheim berichten von einer Schadenssummer nur in ihrem Fall von mehr als 70 000 Euro.
Wo stehen die Gebäude, die der Rhein-Neckar-Kreis unter Beobachtung hat?
Beobachtet werden mehrere Mietshäuser in Heidelberg, darüber hinaus Gebäude in Oftersheim, Eppelheim, Leimen, Hockenheim, Sandhausen und Schwetzingen.
Wie viele Gebäude könnten insgesamt betroffen sein?
Da die Sanierungstechnik bundesweit angewandt wurde, dürfte es sich auch um ein bundesweites Problem handeln. Ein Kollege aus Potsdam hat Stefan Kramer berichtet, dass dort Tausende von Wohnungen betroffen seien. Für den Rhein-Neckar-Kreis und Heidelberg schätzt der Fachmann aus dem Gesundheitsamt die Zahl der betroffenen Gebäude auf eine niedrige dreistellige Zahl.
Es sei letztlich bekannt, welche großen Mietkomplexe zwischen 1970 und 1980 im Kreis und in Heidelberg entstanden sind. „Und das sind leider nicht wenige“, sagt Kramer und hofft, dass durch die Berichterstattung auch andere Bewohner und Hausverwalter potenziell betroffener Häuser sensibel werden und sich beim Gesundheitsamt melden.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Chemikalie im Trinkwasser - ein Skandal