Heidelberg. Günter Schmitteckert blickt zurück: „Vor genau 100 Jahren, am 9. Januar 1924, kostet der ,Vorwärts‘ 130 Milliarden Mark“, erinnert der Vorsitzende der Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Stiftung bei deren Neujahrsempfang. Damals, 1924, herrschen Inflation, Not, politisches Chaos.
So weit ist es noch nicht. Doch auch heute sind die politischen Zeiten alles andere als ruhig. „Wenn wie vor einigen Tagen ein Mann in Sachsen-Anhalt, als der Bundeskanzler die Hochwassergebiete besucht hat, ihn mit dem Wort Volksverräter beschimpft“, beklagt der Geschäftsführer der Stiftung, Bernd Braun, „dann erinnert das doch sehr an die Weimarer Verhältnisse und an Friedrich Ebert, der als Landesverräter verleumdet wurde“.
Die politische Bildungsarbeit der Stiftung ist also wichtiger denn je - und ja auch erfolgreich: 52 800 Besucher verzeichnet die Gedenkstätte in der Heidelberger Altstadt 2023, noch etwas weniger als vor Corona, aber „mehr als das Adenauer-Haus in Rhöndorf und das Heuss-Haus in Stuttgart zusammen“, wie Braun nicht ohne Stolz vermerkt. Unter diesen auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Elke Büdenbender, Frau des Bundespräsidenten, die Schirmherrin der Jahresausstellung über Eberts Ehefrau Louise war.
Als erste der sieben deutschen Politiker-Stiftungen hat die hiesige ein „Serious Game“ entwickelt - ein digitales Spiel mit dem Titel „Friedrich Ebert. Der Weg zur Demokratie“. Es soll Schüler animieren, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.
Und dennoch hat Braun Sorgen. „Gerne hätte ich Ihnen den neuesten Band aus unserer Schriftenreihe gezeigt“, berichtet er: Dieser jedoch „konnte und kann nicht gedruckt werden, weil wir noch keinen Bundeshaushalt haben“, erläutert er die Auswirkungen der Berliner Politik auf „seine“ Bundesstiftung: „Diese Hängepartie wird sich noch bis Anfang März hinziehen.“ Schon bisher waren tiefe Einschnitte zu verkraften: „Wir mussten knapp 200 000 Euro Selbstbewirtschaftungsmittel zurückgeben“, berichtet Braun.
Gleichzeitig kamen hohe Ausgaben hinzu, etwa durch Auflagen für den Brandschutz. Eingebaut wurden Türen, die automatisch schließen. „Wenn man jahrzehntelang durch diese Tür gegangen ist, zieht man sich blaue Flecken zu“, schmunzelt Braun. Dabei ist die Sache für ihn gar nicht lustig, denn sie kostet 400 000 Euro. Zum Glück wurden der Stiftung dafür Sondermittel genehmigt. „Sonst wäre es schwierig geworden, überhaupt ein Programm auf die Beine zu stellen.“
„Eigentlich ein Gebot der Stunde“
Noch schlimmer trifft es aber das Goethe-Institut in Straßburg, das geschlossen werden soll: „Was für ein Akt kultureller Barbarei!“, seufzt Braun unter heftigem Beifall der Anwesenden: „Dabei wäre es eigentlich ein Gebot der Stunde, politische und demokratische Bildungsarbeit zu stärken und nicht zusammenzukürzen“, betont der Historiker.
Rückendeckung erhält er dafür in der packenden Festrede von Ulrich von Kirchbach (SPD), Vize-OB von Freiburg und stellvertretender Vorsitzender der Stiftung für Joseph Wirth, einen Reichskanzler der Weimarer Demokratie aus den Reihen der katholischen Zentrumspartei.
Kirchbach ist seit 22 Jahren Bürgermeister für Kultur und Soziales, weiß also, wovon er redet. So warnt er, die Kultur „auf ihren Unterhaltungs- und dekorativen Wert zu reduzieren.“ Vielmehr sei sie gerade in unseren Krisenzeiten unverzichtbar.
Noch mehr gilt das für eine gesicherte soziale Existenz der Menschen. „Wenn eine alleinerziehende Frau, obwohl sie berufstätig ist, ihre Lebenshaltungskosten nicht mehr bestreiten kann, dann muss uns das beschäftigen.“ Sonst würden soziale Probleme wie diese „unsere Demokratie aushöhlen“, warnt er: „Dieser Prozess hat schon begonnen.“
„Die Kluft zwischen arm und reich wird immer größer“, konstatiert Kirchbach: „Und das Risiko, aus der Mittelschicht abzusteigen, die letztlich das Rückgrat unseres demokratischen Rechtsstaates bildet, wird immer größer.“ Auf der anderen Seite werde sozialer Aufstieg aus eigener Kraft, wie Ebert ihn geschafft habe, immer schwieriger. Und dies alles habe negative Auswirkungen auf die Politik: „Gesellschaftliche und demokratische Teilhabe ist nur möglich, wenn die materielle Grundsicherung gewährleistet ist.“
Bernd Braun versichert: „Wir werden auch in diesem Jahr 2024 versuchen, unserem demokratisch-politischen Bildungsauftrag gerecht zu werden.“ Die Ebert-Gedenkvorlesung hält am 28. Februar Peer Steinbrück, am 23. April beginnt eine Ausstellung über den Genozid in Armenien. Es folgen Veranstaltungen zu 100 Jahren Thomas Manns Roman „Zauberberg“, zum 100. Todestag von Franz Kafka und zum 125. Geburtstag von Bundespräsident Gustav Heinemann; dessen Wort „Frieden ist der Ernstfall“, sinniert Braun, sei doch „bedrückend aktuell“.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Politische Bildung Keine Kürzungen bei Gedenkstätten!