Heidelberg. An normalen Tagen lädt die Plöck kaum zum Verweilen ein. Auf den schmalen Gehsteigen der Altstadtgasse quetschen sich die Fußgänger aneinander vorbei. Wer auf die Fahrbahn tritt, wird von eiligen Radfahrern aus dem Weg geklingelt. An diesem Samstag ist hier aber ein guter Platz für eine Verschnaufpause. Während sich auf der Hauptstraße die Besucher des „Heidelberger Herbsts“ dicht an dicht drängen, ist auf der Plöck weniger los: Ein Kind steht auf der Straße und schaut kopfüber durch seine Beine. Mit erhobenem Regenschirm lotst eine Reiseführerin ihre Gruppe an der Fußgängerzone vorbei, während eine junge Frau ein Bild von einem Flohmarktstand zum Bismarckplatz schleppt.
Heidelberger Herbst: Flohmarktstände, Live-Musik und viel zu Essen
Zur 52. Auflage des „Heidelberger Herbsts“ werden an diesem Wochenende rund 200.000 Besucher erwartet. Sie werden die Live-Musik genießen oder an den Ständen der Kunsthandwerker stöbern, vielleicht eine Bratwurst essen oder ein Hanfbrot. Am Samstag sind es vor allem die Flohmarktstände, die die Menschen in die Seitenstraßen, Innenhöfe und Keller der Altstadt ziehen.
In der Oberbadgasse hat Julian Koepff gerade zwei Öllämpchen verkauft: acht Euro mehr für den Verein „Murx“, den Koepff mitgegründet hat. Der Verein will das Erdgeschoss des Hauses in der Oberbadgasse 6 zu einem „Multifunktions-Kulturraum“ umbauen, der Koepff zufolge „Richtung Stadtgesellschaft geöffnet sein soll“. In der früheren Autowerkstatt könnten sich Vereine treffen, Ausstellungen oder Konzerte stattfinden. „Unser Hauptgedanke war, dass es sehr wenige Freiräume in Heidelberg gibt, die man nutzen kann, ohne etwas zu konsumieren“, sagt Linda Wilson, die sich ebenfalls bei „Murx“ engagiert. Das 1702 gebaute Haus gehört einem Selbstverwaltungsprojekt; der Kulturraum soll auf Selbstkostenbasis betrieben werden.
Ein altes Wählscheibentelefon, ein Laminiergerät und ein Sitzball gehören zu den Dingen, deren Verkauf einen kleinen Beitrag für den Umbau des Hauses leisten sollen. Eine weitaus größere Summe erhofft sich „Murx“ aber vom städtischen Fonds „Mut zur Innenstadt“, für den sich der Verein gerade beworben hat. Koepff zufolge könnte der Kulturraum mit diesen Mitteln 2025 eröffnen. Bis dahin kann sich das Konzept auch noch weiterentwickeln. Letztlich, sagt Wilson, sei der Raum in der Oberbadgasse 6 offen für „alles, was das Herz begehrt“.
Mittelaltermarkt vor der Neuen Aula der Universität
Ein paar hundert Meter westlich, vor der Neuen Aula der Universität, hat ein Mittelaltermarkt Platz gefunden. Bratwürste heißen hier „Ritterwürste“, Crêpes gibt es in der „Süßbäckerey“, und wer ein Gläschen Beerenlikör trinken will, bestellt eine „Koboldkotze“. Die größte Attraktion scheint eine wacklige Strickleiter zu sein, auf der Kinder in Richtung einer goldenen Glocke balancieren. Wer sie läutet, gewinnt den „Sterntaler“. Die meisten Kinder fallen allerdings schon nach den ersten Sprossen ins Netz.
Nebenan verkaufen Antje Theisen und Rudi Schumacher Haarschmuck und kleine Glasfiguren. Wer möchte, kann einen Glasstab selbst in einer Gasflamme zu einer Perle drehen. Das Ehepaar von der Mosel ist zum zweiten Mal beim „Heidelberger Herbst“. Vor Corona sind Theisen und Schumacher noch beruflich über die Mittelaltermärkte gezogen, in der Pandemie haben sie sich verlässlichere Einkommensquellen gesucht. Die Märkte beschicken sie nur noch zum Spaß.
„Wir machen es einfach als Hobby weiter, weil es eben so schön ist“, sagt Schumacher. Freude bereite es ihr vor allem, auf den Märkten immer wieder alte Bekannte zu treffen, fügt Theisen hinzu.
Postkarte mit Marke zum Heidelberger Herbst
An der Ecke Hauptstraße/Grabengasse geben zwei Männer Lewis Capaldis „Someone you loved“ zum Besten. Wer hier durch möchte, muss Tuchfühlung aufnehmen. Ein junger Mann bugsiert einen Stapel Bücher durch die Menge in Richtung Unibibliothek. Aus der Sandgasse steuert ein Junggesellinnenabschied auf das Gedränge zu. Die sechs Frauen, mit rosa Rucksäcken und einem Bauchladen ausgestattet, bitten um Unterschriften auf dem T-Shirt der Braut.
Sollten sie es bis zur Hauptstraße 26 schaffen, könnten sie noch einen besonderen Gruß verschicken. Der „Briefmarken-Sammlerverein Heidelberg und Rohrbach 1891“ verkauft hier eine Postkarte mit einer eigens zum „Heidelberger Herbst“ angefertigten Marke - samt Sonderstempel. Die Marke zeigt eine Schlossansicht, Teil einer Farbradierung des Neustädter Künstlers Gerhard Hofmann. 1 500 Marken habe der Verein drucken lassen, sagt Vorsitzender Christian Klouda. Diese Mühe mache sich der Verein nur zu besonderen Anlässen - „sonst wird es inflationär“. Dazu gehörten etwa die „Leimener Weinkerwe“, der 150. Geburtstag Friedrich Eberts und der „Heidelberger Herbst“.
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