Körperkult

Was bei Tattoos in Mannheim angesagt ist

Zwischen Suchtfaktor, schöner Erinnerung und Therapie: Was die Mannheimer bewegt, sich die filigranen Kunstwerke auf die Haut stechen zu lassen - und was ein Hautarzt zum Thema sagt

Von 
Elina Mandzyuk
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Stich für Stich: Malte Lichtenberg tätowiert einen jungen Mann in Mannheim. Er sagt, Menschen äußern ihre Individualität in den einzigartigen Kunstwerken auf der Haut. © Elina Mandzyuk

Mannheim. Tattoos werden immer beliebter. Schon 2019 zeigte eine Ipsos-Marktforschungsumfrage, dass mehr als jeder fünfte Bundesbürger tätowiert ist. Habe es vor 30 Jahren bundesweit gerade einmal zwei Dutzend Tattoostudio-Inhaber gegeben, sind es der Umfrage zufolge mittlerweile rund 8000. Auch in Mannheim wächst die Beliebtheit von Tattoos, einige Studios sind auf Monate hinaus ausgebucht.

„Die Kundschaft ist vielfältiger geworden, neben jüngeren Leuten lassen sich auch sehr viele ältere Menschen tätowieren“, sagt Frank Coltan Wagner, Mitarbeiter des Tattoostudios Art&Soul in der Innenstadt. Diesen Trend bemerkt auch ein Tätowierer aus einem anderen Innenstadt-Studio. „Tattoos sind so verbreitet wie noch nie. Zu uns kommen nicht nur junge Leute, sondern auch immer mehr ältere Menschen, die sich in der Jugend nicht getraut haben, ein Tattoo machen zu lassen“, sagt Malte Lichtenberg von Truly Yours. Seine älteste Kundin war seine Oma, die Ende 60 drei Tattoos hat stechen lassen: „Meine Oma hat einen Notenschlüssel bekommen, und alle ihre Enkel durften jeweils eine Farbe der Note auswählen“, erzählt Lichtenberg.

„Eine Art Therapie“

In der Regel fangen die Menschen mit etwas Kleinem an. Nach Angaben der vom „MM“ befragten Studios ist der Unterarm eine Trendstelle und wird am häufigsten mit einem Tattoo verziert. Sehr viele lassen aber auch Rücken und Beine tätowieren. Auf Saskias Oberarm soll eine Blume. „Diese Körperstelle gefällt mir besonders “, sagt die 42-Jährige, die in Q 5 gerade mit Wagner ihr Tattoo bespricht.

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Er weiß, warum die Menschen Tattoos mögen: Sie wollen sozial anerkannt werden, das Selbstwertgefühl stärken oder persönliche Situationen verarbeiten. Tattoos seien eine Art der Therapie und dienten zur Verarbeitung traumatischer Lebensereignisse, sagt Wagner. Manche lassen aber haben auch ästhetische Gründe, könnten erst damit ihren Körper akzeptieren. „Mit Tattoos äußern junge Leute ihre Individualität und Schönheit“, so Lichtenberg. Die meisten Kundinnen und Kunden wollen deswegen ein Tattoo mit Bedeutung. Zu den beliebtesten Motiven gehören Namen, Blumen, Unendlichkeitszeichen und Seemotive, aber auch Drachen oder christliche Symbole wie Kreuze und Rosenkränze. Japanische und farbige Tattoos seien dagegen heutzutage nicht mehr so beliebt wie früher, hat Wagner beobachtet.

Gefährliche Inhaltsstoffe in Tattoo-Farben

  • Bereits seit Anfang 2022 unterliegen Tattoo-Farben strengen gesetzlichen Anforderungen. Sukzessive wurden immer mehr Pigmente verboten. Denn keine Stoffe dürfen enthalten sein, die als krebserzeugend oder erbgutschädigend eingestuft sind.
  • Laut EU-Kommission sollen Tätowierungen grundsätzlich nicht verboten werden. Nur gefährliche oder nicht ausreichend erforschte Substanzen dürfen nicht vorkommen. Die europäische Chemikalienverordnung erklärt, das Verbot solle „Tätowierungen und Permanent-Make-up sicherer machen.“
  • Seit Januar müssen Tätowierer auf zwei weitere Pigmente verzichten: „Blue 15:3“ und „Green 7“. Sie stehen beide im Verdacht, krebserregend zu sein.
  • Die Verbraucherzentrale empfiehlt, sich vom Tätowierer oder dessen Studio bestätigen zu lassen, dass die verwendeten Farben der Verordnung 2020/2021 und der nationalen Verordnung über Mittel zum Tätowieren entsprechen.
  • Sollten nach dem Tätowieren allergische Reaktionen auftreten, können Ärzte Diagnosen leichter stellen, wenn die Inhaltsstoffe bekannt sind. Die Verbraucherschützer raten, ein Foto der Etiketten der Tattoofarben zu machen und sie mit der Auflistung der Inhaltsstoffe aufzubewahren.

Christian Riedel, Facharzt für Dermatologie, sieht viele positive Aspekte in Tattoos: „Ich bin kein Gegner, ich sehe eher einen positiven psychologischen Effekt“, sagt er dem „MM“. „Manche Menschen können dadurch ihre privaten Konflikte verarbeiten oder schöne Erinnerungen behalten.“ Nebenwirkungen wie allergische Reaktionen und Entzündungen treten eher selten auf, wenn man zu einem Profi geht, sagt Riedel.

Und was war das ungewöhnlichste Motiv, das Malte Lichtenberg jemals gestochen hat? Dazu zählt eine Matrikelnummer: „Eine Studentin hat die sich auf ihrer Fußsäule tätowieren lassen, um sich an ihr Studentenleben zu erinnern.“

Die ärztlichen Empfehlungen

Anna und Sarah sind Mutter und Tochter. Sie haben sich im Art&Soul ein gleiches Motiv verpassen lassen. Sie wollen ihre persönliche Situation mit einem Tattoo auf ihren Wadenbeinen verbinden: „Als schöne Erinnerung an unseren Urlaub auf Mallorca haben wir jetzt diese Palmen“, sagt Anna. Bei Auswahl der Motive, Farben, Größen und Position des Tattoos sei eine gute Beratung extrem wichtig. „Tätowierer können besser einschätzen, wie ein Tattoo auf einer bestimmten Körperstelle in fünf oder zehn Jahren aussieht“, sagt Lichtenberg.

Gefällt ein Tattoo irgendwann nicht mehr, hilft oft nur eine Laserentfernung - die sei teuer und „in der Region wird sie nur von ganz wenigen Praxen durchgeführt“, sagt Arzt Riedel. Für die Behandlung seien mehrere Sitzungen mit meist verschiedenen Lasertypen nötig.

Die tätowierten Palmen als schöne Erinnerung aus dem Urlaub. © Elina Mandzyuk

Darf man Pigmentmale auf der Haut tätowieren lassen? Riedels Antwort ist eindeutig: Das ist ein absolutes No-Go, sagt der Arzt. Seriöse Tätowierer würden niemals ein Tattoo auf Pigmentmale stechen. Die Gefahr bestehe darin, dass der Arzt hinterher nur schlecht mögliche Hauterkrankungen erkennen könne. Außerdem zeichneten „hohe Hygienestandards und freundliches Personal, das gut beraten, aber auch über mögliche Risiken und Allergien sowie über Herkunft und Zusammensetzung der Farben aufklären kann“, ein professionelles Tätowierstudio aus, so der Dermatologe.

Tattoos am Arbeitsplatz

Doch scheinbar bereuen die Wenigsten ihre Tattoos. Wagner höre selten jemanden sagen, dass es das erste und letzte Tattoo sei. „Die Veränderung am Körper reizt Leute. Tätowierung ist wie Chirurgie. Man kann leicht etwas an sich ändern“, sagt er. Wer ein Tattoo hat, lässt sich meist noch weitere stechen, weiß Lichtenberg: „Der Suchtfaktor ist schon da. Aber man assoziiert mit Tattoosucht eher eine positive Form von Leidenschaft, das Streben nach Körperkunst.“ Die Entscheidung für weitere Tattoos falle auch viel leichter, da man den Schmerz schon ungefähr einschätzen kann.

„Tattoos sind kein Trend, sondern eine Art der Offenheit. Man muss sie nicht mehr auf der Arbeit verdecken und das finde ich richtig“, sagt Sarah. Sie arbeitet als Erzieherin und hat mehrere offene Tattoos, die für ihren Arbeitgeber kein Problem seien. Längst sind heute nicht nur mehr Arbeitnehmer, sondern auch Chefs tätowiert.

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