Mannheim. Keyboarder Peter Seiler, selbst eine Rock-Ikone der Quadratestadt, stellt ihn auf eine Stufe mit Jazz-Doyen Wolfgang Lauth: Klaus Nagel. Der für ihn „wichtigste Mannheimer Rock-Musiker“ ist am 15. Juni nach kurzer schwerer Krankheit in seiner Heimatstadt gestorben, wie Seiler dieser Redaktion am Montag in Absprache mit Nagels Familie mitteilte. Der am 2. März 1937 geborene Feudenheimer wurde 86 Jahre alt.
Ein stiller Star
Klaus Nagel suchte nicht das Licht der Öffentlichkeit. Aber es fand ihn. Seine Verdienste und musikalische Qualität, in vielen Stilistiken von Rock, Jazz und Soul bis hin zur Klassik, würden ihn aus seiner Generation schon weit herausragen lassen. Aber er war auch entscheidend beteiligt an einem der wichtigsten Kapitel der Mannheimer Rock-Historie: dem Aufstieg von Joy Fleming. Obwohl Nagel in von 1962 bis 1967 in Basel und Mannheim klassische Gitarre studiert hatte, zählte er zu den wenigen Zeitzeugen, die akkurat aus der Musikerszene in den fast sagenumwobenen „Ami-Clubs“ berichten konnten. Dort waren auch einheimische Musiker zur Unterhaltung der US-Soldaten gefragt - ein Super-Nebenjob für Musikstudenten und eine harte, aber perfekte Schule als Live-Crack.
Ami-Club-Betreiber verordnet eine Sängerin
Dafür gründete der Gitarrist, Flötist und Bandleader mit Musikhochschulstudenten wie dem späteren Star-Produzenten Roland Heck (Keyboards), Dieter Kindl (Gitarre, Bass), Hans Herkenne (Schlagzeug) und Albin Metz (Trompete, Bass) 1964 die Band Hit Kids. Wie er dieser Redaktion vor Jahren berichtete, spielten sie 1966 Instrumental-Musik im Club „Top Hats“. Plötzlich verlangte dessen Chef, dass sie eine Sängerin mitbringen. So kam Erna Strube alias Joy -Fleming.
Mit ihrer enormen Stimme am Mikrofon wurden Joy And The Hit Kids vom Badenia Musikverlag entdeckt und avancierten zu einer Stammband in Dieter Prötels TV-Show „Talentschuppen“. Höhepunkt war sicher der bundesweit gefeierte Auftritt am 12. April 1969 im Vorprogramm von US-Rocklegende Janis Joplin in der Frankfurter Jahrhunderthalle. Die Mannheimer brachten es bis zu einem Plattenvertrag bei Mercury Records für die USA und beschlossen daraufhin 1969, künftig als Joy Unlimited auch international Fans zu erreichen und „grenzenlose Freude“ zu bereiten.
Wechsel hinter die Kulissen
1970 erschien das US-Album „Joy Unlimited“, das neben eigenen Songs auch Coverversionen von Elton John oder den Beatles enthielt. 1970 stieß Saxofonist (und Hecks später Partner als Produzent für Peter Hofmann, Peter Alexander oder Paola) Gerd Köthe zu Joy Unlimited und Nagel zog sich als Musiker zurück. Er blieb seiner Band aber als Manager, Verleger und Produzent im Hintergrund verbunden -Tätigkeiten, die sein weiteres Berufsleben prägen sollte. Als Gitarrist ersetzte ihn zunächst Ken Traylor, den ab 1973 Hans Lingenfelder, besser bekannt als Ricky King, ablöste.
Musik für Ballet-Choreografien am Nationaltheater
In den frühen 1970er Jahren verbanden Joy Unlimited noch unter Nagels Ägide die klassischen Wurzeln der studierten Instrumentalisten mit der Leidenschaft für Avantgarde-Rock: Sie komponierten die Musik zu drei Rock-Jazz-Ballett-Stücken, die alle als Platte veröffentlicht wurden: 1971 wurde „Schmetterlinge“ am Bonner Stadttheater uraufgeführt, es folgten „Reflections“ (1972) und „Minne“ (1973) am heimischen Nationaltheater. 2005 brachte Klaus Nagel „Schmetterlinge“-Album, wohl eines seiner Meisterwerke, in einer liebevoll editierten Vinyl-Version wieder auf den Markt.
Als Mundharmonika-Weltmeister bei Peter Frankenfeld
Obwohl Nagel, der das Handwerk als Jazz-Gitarrist bei Werner Pöhlert erlernt hat, das große Rampenlicht früh verlassen hat, blieb er eine enorm wichtige Kreativkraft der Mannheimer Szene. „Wir beide haben als Seiler & Nagel ab 1977 jahrelang sehr erfolgreich für das Fernsehen gearbeitet. Dabei entstand auch das Album ,Klangbilder‘. Wir haben Dutzende von Copyrights als Urheber-Team“, erinnert sich Peter Seiler im Gespräch. Nebenbei habe Nagel noch Platten von Künstlern wie Bernie‘s Autobahn Band und Liedermacher Peter Vogel produziert. Gemeinsam schufen sie, so Seiler, das Album „Summer Night“ mit großem Orchester und Nagel an der Mundharmonika. Mit diesem Instrument wurde der junge Mannheimer Weltmeister und trat in den frühen 1960ern in Peter Frankenfelds Sendung „Und ihr Steckenpferd?“ auf.
Mittelalterliche Musik mit Käshammer & Nagel
Sein Faible für historische Instrumente wie Zister, Dudelsack, Dulcimer, Einhandflöte oder Schalmey lebte er im Duo Käshammer & Nagel aus. Mit Geigenbaumeister Ernst Käshammer aus Fußgönnheim vermittelte er über Jahrzehnte live und auf Platten die Lebensfreude, die aus mittelalterlicher Musik klingen kann. Die Mannheimer Szene trauert also um einen extrem vielseitigen, produktiven und bis ins hohe Alter aufgeschlossenen stillen Star.
Letztes Lebenszeichen mit Fritz Münzer und Peter Seiler
Von dem Peter Seiler am Freitag nach Nagels Tod noch ein Lebenszeichen in den Händen hielt: Die Neupressung von „Phyllysound“ der einzigen Platte Mannheimer All-Star-Band Intercity Sound Association, die sich 1976 unter Pseudonym als Band aus Philadelphia ausgegeben hatte - mit Peter Seiler als Pete Panthrow, Saxofonist Fritz Münzer als Gerald Brown und Klaus Nagel als Denis Faylon.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-trauer-um-klaus-nagel-viel-mehr-als-nur-der-kopf-hinter-joy-flemings-ersten-bands-_arid,2096306.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html