Wie schaffen wir es, in Krisenzeiten optimistisch zu bleiben, Frau Weber?

Ukraine-Krieg, Gewalt im Nahen Osten, Klimawandel – junge Menschen werden im Dauerkrisenmodus erwachsen. Autorin Amelie Marie Weber, warum vor allem junge Menschen die Hoffnung nicht aufgeben sollten. Ein Gastbeitrag

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Amelie Marie Weber
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Die jungen Menschen von heute werden in einer Welt vieler Krisen erwachsen. Deshalb brauchen sie vor allem eines: Hoffnung. © istock

Die letzten Jahre haben unsere Welt ins Wanken gebracht. Eine Pandemie ließ sie stillstehen. Die Folgen des Klimawandels setzen ihr zu. Russische Bomben erschüttern Europa. Die Gewalt im Nahen Osten lässt uns fassungslos zurück. Plötzlich finden wir uns in einer Gesellschaft wieder, die statt wohlstrukturierter Verlässlichkeit nur bedrohliche Unsicherheit bietet. Krise folgt auf Krise – und wir stellen fassungslos fest: Dass es im Leben immer weiter nach oben geht, ist kein Naturgesetz.

In Deutschland gibt es rund elf Millionen Bürgerinnen und Bürger, die zwischen 18 und 30 Jahren alt sind. Sie alle werden im Dauerkrisenmodus erwachsen. Keine andere Altersgruppe fühlt sich durch die aktuellen Krisen so stark belastet. In der Studie „Jugend in Deutschland 2023“ geben 46 Prozent der 14- bis 29-Jährigen an, unter Stress zu leiden. Zum Vergleich: Bei den 50- bis 69-Jährigen sind es nur 20 Prozent. „Junge Menschen müssen in diesen unsicheren Zeiten richtungsweisende Entscheidungen treffen. Die Krisen berühren sie in einer besonders empfindlichen Phase der Persönlichkeitsentwicklung“, sagt Simon Schnetzer, der die Untersuchung durchgeführt hat. Er gilt als einer der renommiertesten Jugendforscher Deutschlands.

Die Gastautorin

Amelie Marie Weber wurde 1995 in Kaiserslautern geboren, studierte Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Mannheim und arbeitet heute als Journalistin in Berlin.

In ihren Texten und in den sozialen Medien behandelt sie politische und gesellschaftliche Themen aus einer jungen Perspektive. Millionen Menschen verfolgen ihre Interviews mit dem Spitzenpersonal der deutschen Parteien.

Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Der Mediendienst Kress und das Medium Magazin zählen Amelie Marie Weber zu den vielversprechendsten Nachwuchstalenten der Branche.

Weber hat nun ihr erstes Buch herausgebracht. Es heißt „Generation Hoffnung: Wie junge Menschen zwischen Klimawandel, Krieg und Selfie-Sucht die Zukunft gestalten“.

Schnetzers Forschung und die Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen anderer Expertinnen und Experten zeichnen ein ganz anderes Bild der Jugend als jenes, das ihr oft vorauseilt. In den Augen vieler gilt sie als verwöhnt, hedonistisch und arbeitsscheu. TV-Moderator Markus Lanz spricht von einer „Hafermilchgesellschaft“, einer „Guavendicksaft-Truppe“, die „wirklich die ganze Zeit auf der Suche nach der idealen Work-Life-Balance“ sei. Doch wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen vielmehr eine Kohorte, die sich um den Zustand dieser Welt sorgt und psychisch stark belastet ist. „Viele junge Menschen leiden unter krankhaftem Stress“, sagt Simon Schnetzer. „Angesichts der vielen Krisen fühlen sie sich hilflos und erschöpft.“

Das darf so nicht bleiben. Deutschland baut auf die junge Generation und darauf, dass sie genug Kraft hat, dieses Land voranzutreiben. Mit dem Kopf im Sand funktioniert das schlecht. Wie schaffen wir es also, angesichts der heutigen Lage nicht den Glauben an ein besseres Morgen zu verlieren?

Was wir brauchen, ist Hoffnung. Doch ähnlich wie den jungen Menschen eilen auch der Hoffnung eine Menge Vorurteile voraus. Manche sagen zum Beispiel, sie sei naiv und verkenne die Ernsthaftigkeit einer Situation. Ich spreche jedoch von einem Hoffen, das die Augen vor der Wirklichkeit nicht verschließt. Wir können uns sehr ernsthaft mit den Krisen dieser Welt beschäftigen, ohne dabei den Blick für ihre Schönheit zu verlieren. Das ist nicht naiv, sondern konstruktiv.

Andere sagen, die Hoffnung mache es sich zu leicht. „Wir schaffen das“ ist so ein Hoffnungssatz, der Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel jede Menge Ärger einhandelte. Aber was wäre die Alternative? „Wir schaffen das nicht?“ Wer den Weltuntergang vorhersagt, kann währenddessen zwar immer damit prahlen, dass er das ja sowieso schon immer geahnt habe – doch verhindern wird er den Untergang damit nicht. In Wahrheit ist es also der Pessimismus, der es sich zu leicht macht. Die Hoffnung hingegen ist mutig. Sie gibt nicht auf.

Das am weitesten verbreitete Vorurteil gegenüber der Hoffnung ist vielleicht, dass sie passiv sei. Manche sagen schulterzuckend: „Ich habe keine Hoffnung” und lehnen sich dann zurück. Doch Hoffnung ist aktiv. Sie muss mit der Handlung einhergehen. Viel zu oft denken wir, dass unser Handeln nichts verändert. Doch wir sind ganz viele Menschen mit diesem Gedanken. Und genau deshalb verändert sich durchaus etwas, wenn alle etwas tun. Entscheidungen, die zunächst klein erscheinen, machen in der Summe einen großen Unterschied. Es lohnt sich also, loszulegen und den ersten Schritt zu gehen.

Auf der Suche nach Zeichen der Hoffnung in Zeiten der Krise sollten wir nichts schönreden und zugleich das Schöne nicht vergessen. Ja, es sind zweifelsfrei herausfordernde Zeiten. Aber aus Herausforderungen können großartige Dinge entstehen. In uns steckt die Kraft, die Welt neu zu gestalten. Wir müssen und werden Wege finden, das Beste aus unserer Situation herauszuholen. Weil Aufgeben keine Option ist.

Viele junge Menschen sorgen sich vor der Zukunft, dabei sind sie es, die sie in der Hand haben. Die Zukunft ist nicht in Stein gemeißelt, sondern flexibel formbar. „Junge Leute haben noch viele Entscheidungen vor sich”, sagt Jugendforscher Schnetzer. “Ihr weiterer Weg ist nicht klar vorgezeichnet und bietet das Potenzial, ungeahnte Richtungen einzuschlagen.“ Es liegt also in unserer Verantwortung, die Möglichkeiten zu erkennen, die vor uns liegen, und sie zu nutzen. Die Frage ist bloß, welche Zukunft wir haben wollen und was wir bereit sind, für sie zu tun.

Ich träume von einer Zukunft, die so schön ist, dass wir gar nicht anders können, als für sie zu kämpfen. Hoffnung ist die Grundlage dafür, uns eine solche Zukunft vorstellen zu können. Was wir uns vorstellen können, bestimmt, was wir für möglich halten. Und was wir für möglich halten, bestimmt, wofür wir zu kämpfen bereit sind.

Während wir für weitere Verbesserungen eintreten, sollten wir nicht die Augen vor dem erreichten Fortschritt verschließen. Statt immer nur das zu fürchten, was vielleicht sein könnte, dürfen wir uns auch an dem erfreuen, was bereits geschafft ist. Wir werden viel Kraft brauchen, um die vor uns liegenden Aufgaben zu bewältigen. Deshalb müssen wir auf uns achten, hin und wieder eine Pause einlegen und die kleinen Errungenschaften groß feiern.

Vielleicht erscheint uns die Welt manchmal dem Untergang geweiht und eine Lösung der Krisen unmöglich. Aber wir Menschen machen permanent Unmögliches möglich. Wir fliegen ins All. Wir transplantieren Herzen. Wir surfen im Internet. All das war noch vor wenigen Jahrzehnten unvorstellbar, nun ist es Realität. Wir können so viel mehr, als wir glauben, wenn wir es nur wollen.

Wer meint, dass Veränderungen in dieser Welt nicht realisierbar sind, braucht nur mit den eigenen Eltern oder Großeltern zu sprechen. Es gab schon immer schwierige Zeiten. Vor knapp 80 Jahren herrschte der Zweite Weltkrieg. Europa lag in Trümmern. Die Situation schien für viele aussichtslos. Niemand wusste vom Wirtschaftswunder, das bald kommen würde. Und trotzdem packten die Menschen an. Weil sie Hoffnung hatten. Vor etwas mehr als 30 Jahren war Deutschland noch ein geteiltes Land. Millionen Menschen demonstrierten für die Wiedervereinigung, ohne zu wissen, dass sie tatsächlich Wirklichkeit werden würde. Weil sie Hoffnung hatten. Eines Tages werden wir auch auf Heute zurückblicken – beeinflusst von zukünftigen Entwicklungen, die wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen können. Ich frage mich, wie wir unsere Zeit dann einschätzen werden. Welche Geschichten werden wir einander erzählen? Werden wir die Hoffnung bewahrt haben? Und können wir dann stolz auf unsere heutigen Handlungen sein?

Krisen sind die Aufforderung, nach neuen Wegen zu suchen. Dafür braucht die Welt die Jugend. Doch eine Generation allein wird diese Welt nicht retten können. Die Erfahrungen und Tugenden der Älteren sind ebenso wichtig wie die Achtsamkeit und der unbändige Gestaltungswille der Jüngeren. Deshalb müssen wir einander zuhören, voneinander lernen und stets zusammenhalten. Ich bin überzeugt: Wir können das gemeinsam schaffen – solange es die Hoffnung gibt.

"Dass es im Leben immer weiter nach oben geht, ist kein Naturgesetz"
"Entscheidungen, die zunächst klein erscheinen, machen in der Summe einen großen Unterschied"
"Krisen sind die Aufforderung, nach neuen Wegen zu suchen. Dafür braucht die Welt die Jugend"

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