Berlin. Ein wichtiger Zukunftswunsch ist in der Generation der Babyboomer weit verbreitet. Sieben von zehn Befragten wollen auf jeden Fall möglichst lange in der eigenen Wohnung bleiben. Selbständig zu bleiben steht dieser von der Apotheken-Rundschau 2022 veröffentlichten Umfrage nach hoch im Kurs. Immerhin jeder dritte kann sich vorstellen, dafür auch einen Teil der bei vielen nach dem Auszug der Kinder zu großen Wohnung an junge Leute unterzuvermieten. Das wäre angesichts der Wohnraummisere in den Ballungsgebieten wohl auch für alle Beteiligten hilfreich.
Alternative Wohnformen könnten auch aus einem anderen Grund zu einer längeren Selbstständigkeit im Alter verhelfen. Denn der Generation zwischen 55 und 65 Jahren ist längst bewusst geworden, dass Unterstützung oder gar Pflege teuer wird und von Personalmangel gekennzeichnet ist. Das Modell „Wohnen für Hilfe“ ist zumindest für die Unterstützung im Alter ein Lösungsansatz für die anstehende Herausforderung. „Ältere Menschen nehmen Jüngere bei sich auf und sie wohnen zusammen“, beschreibt der Ökonom Daniel Fuhrhop das einfache Prinzip.
Bundesregierung ging zuletzt von 50 000 Wohnpaaren aus
Statt eine Untermiete zu bezahlen, helfen die Jüngeren im Alltag. Allenfalls eine kleine finanzielle Beteiligung an den Nebenkosten der Wohnung kann es sie kosten. Es geht dabei nicht um eine Pflege der Älteren, sondern um kleinere Aufgaben wie den Einkauf oder ein wenig Gesellschaft am Abend. „Als Faustregel gilt: Pro Quadratmeter bezogenen Wohnraum eine Stunde Hilfe pro Monat“, erläutert das Deutsche Studierendenwerk. Bei einem 15 Quadratmeter großen Zimmer kämen im Monat 15 Stunden Hilfe zusammen. Gerade für Studentinnen und Studenten kann dieses Modell attraktiv sein, sind sie doch in den Uni-Städten besonders stark vom Wohnraummangel betroffen.
So sind es auch überwiegend Studierendenwerke, die Wohnen für Hilfe vermitteln. Es gibt darüber hinaus auch private Agenturen, die sich des Themas angenommen haben. Weit verbreitet ist diese Form des Gemeinschaftswohnens in Deutschland noch nicht. Die Bundesregierung ging in einem Bericht an den Bundesrechnungshof von rund 50 000 Fällen aus.
In anderen Ländern ist man da schon weiter, wie Fuhrhop berichtet. International lautet der Fachbegriff dafür Homeshare, Vermittlungsprogramme zum Teilen des Wohnraums. Der Wissenschaftler erforscht neue Wohnformen und berät auch Kommunen beim Aufbau von sozialen Programmen zur Mobilisierung ungenutzten Wohnraums. „Das deutsche Modell wird leider oft nur nebenbei betrieben und professionelle Rahmenbedingungen fehlen“, beobachtet er. Daher blieben Erfolge aus. Anders sieht es zum Beispiel in Brüssel aus. Eine Agentur dort vermittelt laut Fuhrhop jährlich 400 Wohnpaare im Jahr. Der Experte appelliert auch an die deutsche Politik, ebenfalls professionelle Vermittlungsstrukturen aufzubauen.
Überall in Deutschland machen sich die Boomer Gedanken über ihre Wohnzukunft. Guter Rat muss erst einmal nicht teuer sein. Dafür ist Bettina Held ein Beispiel. Sie berät nach dem Beispiel der Kölner „Wohnschule“ Ältere bei ihrer Suche nach einer passenden Wohnform in den späten Lebensjahren. „Mein Ansatz ist, sorgende Gemeinschaften zu bilden“, sagt die studierte Kunsthistorikerin und heutige Rentnerin. Das trifft auch die Bedürfnisse der Teilnehmer.
Schnell stellt sich heraus, dass Wohngemeinschaften weniger attraktiv erscheinen. Auf das eigene Bad und die eigene Küche will niemand verzichten. Die Mieter größerer Wohnungen können sich allenfalls vorstellen, ein Zimmer unterzuvermieten oder gegen Hilfe einen jungen Menschen aufzunehmen. „Man könnte gemeinsam einen großen Raum mieten, den alle gut erreichen können“, lautet ein Vorschlag. Dort könnten dann zum Beispiel Partys oder Spieleabende veranstaltet werden, für die in kleineren Wohnungen nicht mehr genügend Platz wäre. Soziale Kontakte stehen für alle ganz oben auf der Wunschliste zum Leben im Alter.
„Wohnung muss auch im hohen Alter gut zu erreichen sein“
Aber zunächst geht es in einer kleinen Runde von Mietern um die ersten wichtigen Fragen rund um das Wohnen im Alter. Acht Interessenten sind hier zusammengekommen, um sich zu informieren und auszutauschen. Die Wohnschule fragt nach dem Platzbedarf, den Wohnwünschen oder auch den materiellen Bedürfnissen. Denn wer den Umzug in eine kleinere Wohnung ins Auge fasst, muss sich oft von vielen Dingen trennen. „Mich würde interessieren, ob Ihr einen Plan habt“, sagt die Expertin. Es sei wichtig, sich frühzeitig darum zu kümmern: „Sonst steht man nachher da und muss nehmen, was gerade kommt.“
Einer gewissen Dringlichkeit sind sich die meisten Teilnehmer bewusst. Die Mehrheit wohnt in Altbauten ohne Aufzug ganz oben. „Die fünf Stockwerke schaffe ich irgendwann nicht mehr“, sagt einer. Doch in einem so angespannten Wohnungsmarkt wie Berlin sind Alternativen Mangelware. „Es muss eine Wohnung sein, die man auch im hohen Alter gut erreichen kann“, ergänzt eine andere Mieterin, „manche scheitern da schon an fünf Stufen“.
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