Sie sind kalorienarm und das Lieblingsgemüse der Deutschen: Tomaten. Fast 30 Kilo isst in Deutschland jeder im Jahr, frisch oder verarbeitet. Der heimische Anbau deckt derzeit aber nur magere 3,8 Prozent des Bedarfs, das Gros wird importiert. Die kommende Bundesregierung will das ändern. Union und SPD erklären in ihrem Koalitionsvertrag: „Den Selbstversorgungsgrad mit Obst und Gemüse wollen wir erhöhen.“
Wird es mehr Treibhäuser geben? Und: Wird Obst und Gemüse noch teurer, wenn es nicht mehr wie bisher aus Südspanien, den Niederlanden, aus Übersee kommen soll? Seit 2021 sind die Preise für Obst laut der nordrhein-westfälischen Verbraucherzentrale ohnehin schon um 16Prozent, für Gemüse um 21 Prozent gestiegen sind. Entscheidende Fakten: Welche Früchte sollen regionaler werden? „Wir reden hier nicht über Bananen und Apfelsinen", erklärt Bertram Fleischer, Generalsekretär des Zentralverbandes Gartenbau.
Wo hapert es bei der Tomate?
Tropische und subtropische Früchte, also auch Avocado und Ananas, würden auch in Zukunft zu 100 Prozent importiert. Sie gedeihen im hiesigen Klima nicht. Doch dann zählt er auf: „Der Anbau von Himbeeren ist in Deutschland zum Erliegen gekommen, sie werden vor allem in Spanien und Marokko produziert. Unsere Pflaumen kommen aus Serbien, Süßkirschen aus der Türkei und die Tomaten aus den Niederlanden, Spanien, Marokko."
Früher war in den Sommermonaten Tomatenzeit in Deutschland, heute liegen sie selbst im Winter im Supermarkt. Dann werden sie zum Beispiel in Südspanien in der Provinz Almeria unter Folie angebaut. Die Preise: günstig dank Sonne und sehr schlechter Löhne. Da könne Deutschland nicht mithalten, erklärt Fleischer.
Wer ein Gewächshaus beheizen wolle, habe hierzulande viel zu hohe Energiekosten. Tomaten zum Beispiel brauchen zum Reifen mehr als 20 Grad Celsius. Die Zahl der Betriebe, die Obst und Gemüse unter Glas anbauen, gehe in Deutschland seit Jahren zurück, sagt Fleischer. Auch Landwirte führten die Produktion von Gemüse im Freiland runter oder stellten sie ein. Neben den Preisen für Energie machten auch jene für Dünger und Pflanzenschutzmittel zu schaffen, außerdem sei die notwendige Spezialtechnik kostspielig.
Importabhängigkeit und regionale Gemüseproduktion im Vergleich
Gemüse braucht viele Nährstoffe zum Wachsen und hat seine Fraßfeinde. Obendrein nehmen mit dem Klimawandel die trockenen Jahre zu, Bewässern ist teuer.
105 Kilogramm Gemüse isst in Deutschland jeder pro Jahr, dazu kommen 67 Kilogramm Obst. Vieles davon hat einen weiten Weg hinter sich: Nach Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung werden 63 Prozent allen Gemüses importiert. Dabei gibt es Unterschiede: Bei Bohnen deckt die heimische Produktion 23 Prozent des Verbrauchs, bei Gurken 30, bei Möhren 79, bei Sellerie 75 wie beim Spargel auch, und bei Speisezwiebeln 70. Von Weiß- und Rotkohl wird indes mehr produziert als hier gegessen wird, der Selbstversorgungsgrad liegt bei 110 Prozent. Viel davon kommt aus Dithmarschen in Schleswig-Holstein, Deutschlands bedeutendstem Kohlanbaugebiet.
Beim Obst sieht es nochmal anders aus. Über alle Sorten hinweg – also Bananen, Mango und andere exotische Früchte inklusive – werden 80 Prozent importiert. Das mit Abstand liebste Obst der Deutschen, der Apfel, wird immerhin zu 55 Prozent hierzulande geerntet, vor allem in den großen Obstanbaugebieten im alten Land in Norddeutschland und rund um den Bodensee.
Steigen mit regionalem Gemüse die Preise? „Nicht unbedingt", sagt Agrarprofessor Friedhelm Taube, der an der Christian-Albrechts-Universität Kiel zur Zukunft der Landwirtschaft forscht, viele Jahre auch die Bundesregierung beraten hat. Ab 2027 werde der europäische Emissionshandel für den Verkehr teurer, damit würden die Preise für fossilen Sprit steigen, Transporte aus der Ferne nicht so günstig wie heute bleiben, sagt Taube: „Dann verschiebt sich die Rechnung." Einen Lkw leer nach Südspanien hin- und mit Ladung wieder zurückfahren zu lassen, werde kosten.
In Deutschland werden neue Nischen entstehen
Taube erklärt: „Es werden Automatisierungsprozesse kommen." Roboter würden etwa beim Hacken von Unkraut oder der Ernte helfen. Muss es denn heimisch sein? „In Deutschland werden neue Nischen für den Obst- und Gemüseanbau entstehen", prophezeit Taube. Vielmehr als um die Unabhängigkeit vom Handel gehe es um neue Chancen für Landwirte. Das Ernährungssystem müsse wie andere Sektoren auch klimaneutral umgebaut, also mehr pflanzliche Kost, weniger Fleisch angeboten werden. Und dafür mangele es sogar noch stärker an Obst und Gemüse als die Agrarstatistik der Selbstversorgungsgrade wiedergebe.
Künftig werde es, so Taube, mehr Agri-Fotovoltaik geben, also Anlagen bei denen auf dem Acker Lebensmittel geerntet werden und Energie. Mit ihr und Windkraft könnten Gewächshäuser betrieben werden, zudem mit Biogas aus Reststoffen der Landwirtschaft. Taube: „Gemüse wird dann eine hochattraktive Einkommensquelle, etwa für bisherige Schweinehalter in der niedersächsischen Weser-Ems-Region." Dort im Dreieck zwischen Oldenburg, Bremen und Osnabrück stehen viele Ställe für Schweine und Hühner. „Ein weiterer Abbau wird aus Umweltgründen unvermeidlich sein", so Taube, ,,aber sehr unternehmerisch denkende, innovative Betriebe werden das zu nutzen wissen."
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